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Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)

Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)

Titel: Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter May
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Verhörzimmer dringen. Es war ein kleiner Raum irgendwo in den Tiefen des Polizeipräsidiums, mit Kritzeleien an den Wänden – stumme Zeugen Hunderter Gefangener, die hier unter dem grellen, kalten Licht der Neonlampen ihre Unschuld beteuert hatten. So wie er.
    Für die Polizisten war es immer wieder dieselbe Leier.
    Enzo fühlte sich rastlos, wie ein Tier im Käfig. Es hielt ihn nicht länger als ein paar Minuten auf seinem Stuhl, dann lief er wieder wütend und niedergeschlagen im Kreis, während er verzweifelt nach einem Ausweg suchte.
    Die gendarmes hatten ihm nichts erzählt, sondern ihn wie einen rechtskräftig verurteilten Verbrecher behandelt. Auf der unbequemen elfstündigen Fahrt nach Cahors in einem engen, abgedunkelten Polizeitransporter hatte man ihm noch nicht einmal die Handschellen abgenommen. Nur zwei Mal hatten sie angehalten, und er hatte blinzelnd, vom plötzlichen Tageslicht geblendet, den Wagen verlassen und sich am Straßenrand erleichtern dürfen.
    Nach einer Nacht in einer Zelle der Police Nationale in Cahors wurde er nun der Frau vorgeführt, die einmal beinahe seine Geliebte geworden wäre.
    Commissaire Taillard war immer noch eine attraktive Frau. Ihr ebenmäßiges Gesicht, das einen aparten slawischen Einschlag aufwies, mit hohen Wangenknochen und schrägen Mandelaugen, wurde eingerahmt von glänzendem braunem Haar, das sie am Hinterkopf zu einem Knoten aufgesteckt hatte. Ihre vollen kirschroten Lippen waren ungewohnt gravitätisch zusammengekniffen, während sie Enzo über den Befragungstisch hinweg mit einem enttäuschten Blick musterte.
    Er versuchte, sich zu erinnern, wieso sie damals nicht zusammengekommen waren. Auf den ersten Blick hatte es genügend Gemeinsamkeiten gegeben. Sie war die Chefin der örtlichen Polizei, er der vormals beste Forensiker in seiner schottischen Heimat. Sie waren ein paarmal miteinander ausgegangen, und sie hatte ihn zu einer Reihe von Dinnerpartys begleitet. Schon hatte man spekuliert, ob sie ein Paar seien. Seltsamerweise hatte sie ihm in Uniform stets besser gefallen. Ohne sie hatte sie etwas merkwürdig Altmodisches an sich, und obwohl sie eine leidenschaftliche Frau war, hatte sie bei ihm nicht die gleiche Glut entfachen können. Vielleicht hätte sich das nach einer Liebesnacht geändert. Einmal waren sie im Anschluss an ein Abendessen in seiner Wohnung kurz davor gewesen. Immerhin waren die Hüllen zur Hälfte gefallen, als Sophie mit Bertrand hereinplatzte und sie in flagranti ertappte, was zu einem peinlichen Coitus interruptus führte, den sie aus irgendeinem Grund bei keiner späteren Gelegenheit zu Ende gebracht hatten.
    Wahrscheinlich hatte er die Beziehung einschlafen lassen – keine bewusste Entscheidung, eher ein unmerklicher gleitender Rückzug. Und er hatte das Gefühl, dass sie ihm irgendwie die Schuld dafür gab.
    Jetzt sah er sich gezwungen, ihr auf einer ganz anderen Ebene zu begegnen, nicht zuletzt, weil die Anwesenheit des bewaffneten Polizisten an der Tür jede Möglichkeit einer persönlichen Kommunikation zwischen ihnen zunichtemachte.
    Verdammt, Hélène, hätte er am liebsten gesagt, du kennst mich doch. Du weißt, dass ich zu so etwas nicht fähig bin.
    Doch er brachte nur heraus: «Das ist absurd, commissaire , ganz und gar absurd.»
    «Leugnen Sie, die Frau zu kennen?»
    «Natürlich nicht. Ich habe Audeline vor etwa sechs Wochen auf einer Party getroffen. Seitdem habe ich sie ein paarmal wiedergesehen.»
    Commissaire Taillard beugte sich über eine Akte, die aufgeschlagen vor ihr lag. «Sie haben letzte Woche im Fils des Douceurs zusammen zu Abend gegessen.»
    Enzo musterte sie. Es war das Restaurant, in das er Hélène zum ersten Mal allein ausgeführt hatte. Doch ihr war nichts anzumerken. «Ja.»
    «Hatten Sie Sex miteinander?»
    Enzo errötete vor Verlegenheit, was sonst selten geschah. Die unverblümte Frage erschien ihm allzu intim, zumal sie von einer Frau gestellt wurde, mit der er fast einmal geschlafen hatte. Er warf dem Beamten an der Tür einen verstohlenen Blick zu, doch falls er sich zu dem Thema irgendwelche Gedanken machte, war ihm das nicht anzusehen. Enzo nahm zu einer frivolen Bemerkung Zuflucht. «Nicht beim Abendessen.» Augenblicklich schien die Temperatur im Raum um zehn Grad zu sinken. Er änderte seine Strategie. «Was tut das zur Sache?»
    «Das Verbrechen hat möglicherweise einen sexuellen Hintergrund, Monsieur Mackay. Das Opfer wurde mit offener Bluse und abgerissenem BH vorgefunden; die

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