Der Moloch: Roman (German Edition)
plötzlich, als wäre er sehr müde. » Sie sind nach Hause gegangen, Arish. Sie sind alle nach Hause zurückgekehrt.«
Die Antwort des Mannes ermutigte ihn. » Wann werde ich nach Hause gehen, Ser?«, fragte er leise.
Der Schwertmeister hockte sich neben ihn und legte ihm seine Hand auf die Schulter. » Wenn du fleißig deine Lektionen lernst«, erzählte er dem Jungen, » und hart auf dem Exerzierplatz trainierst, wird der Kaiser dich eines Tages auch nach Hause gehen lassen.«
Lange Zeit verlieh dieses Versprechen dem Jungen Kraft. Er tat, was man ihm sagte, saß stundenlang über seinen Büchern und trainierte verbissen. Er lief schneller als andere Jungen, kletterte höher, war furchtlos im Ring und mit Schwert und Messer unschlagbar. Und er brachte sich selbst bei, mit seinem Verstand an einen anderen Ort zu wandern, wenn die älteren Jungen ihn verhöhnten, ihn verprügelten und misshandelten. Nach langer Zeit schwand die Hoffnung in seinem Herzen allmählich und machte einer versteinerten Duldsamkeit Platz.
Die Jahre verstrichen, und er ging nicht nach Hause. Irgendwann war er selbst einer der älteren Jungen. Er war etwa dreizehn, ein aufmerksamer, einsamer Junge, als der Tag kam, an dem er zum Mann wurde.
Es war eine sehr willkommene Abwechslung in ihrer Ausbildung, dass zwei- oder dreimal im Jahr eine Gruppe von Jungen in die Wälder jenseits des südlichen Randes der Cité gebracht wurde. Man setzte sie dort aus, damit sie auf sich gestellt innerhalb einiger Tage zu einem bestimmten Punkt zurückkehrten, sei es ein Wachturm, ein Hügelkamm oder ein Felsvorsprung. Diese Zeit wurde » Wildzeit« genannt, vielleicht weil sie eine ungewöhnliche Chance bekamen, über die Stränge zu schlagen, fern der harten Steinmauern und der noch härteren Disziplin. Man gab ihnen oft mehr als genug Zeit, ihr Ziel zu erreichen, und diese » Wildzeit« war für sie fast so etwas wie Ferien. Allerdings galt das nicht für die kleineren Jungen, die diesem Moment eher furchtsam entgegensahen.
Aber Arish war nicht mehr kleiner oder jünger. Er war zwar auch nicht der Älteste in der Gruppe von acht Jungen, aber niemand bedrohte ihn mehr, und die anderen, selbst die, die bereits an der Schwelle zum Mann standen, begegneten ihm mit Vorsicht.
Sie hatten bei Tagesanbruch die Kaserne verlassen und ritten am frühen Nachmittag bereits mitten durch Eichen- und Erlenwälder. Arish wusste, dass er noch nie hier gewesen war, denn die Bäume standen weiter auseinander, als er es bei früheren » Wildzeiten« erlebt hatte, und auch das Unterholz war weniger dicht. Sie kamen an umgestürzten Baumriesen vorbei, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Sie waren von Stürmen oder Erdstößen entwurzelt worden. Er wusste, dass es keinen Sinn hatte, sich den Weg zu merken, weil man sie auf überaus verschlungenen Wegen hergebracht hatte. Sie folgten den beiden schweigenden Soldaten und hatten den Hauptweg bereits vor einiger Zeit verlassen. Ihre Pferde suchten sich ihren Weg über einen Wildpfad. Es war Herbst, die Nächte waren kühl, und das Laub fiel bereits. Die Sonne war schon im Untergehen begriffen, als die Soldaten ihr Schweigen brachen und ihnen befahlen abzusteigen. Sie sammelten die Pferde ein und ritten dann wortlos den Weg zurück, den sie gekommen waren. Die acht Jungen ließen sie auf einer großen Lichtung knietief im raschelnden Laub zurück.
Die beiden ältesten, ein stämmiger Schläger namens Ranul und ein dunkelhäutiger, ruhiger Junge namens Sami, entschieden, welchen Weg sie einschlagen sollten. Arish konnte ihre Entscheidung nicht infrage stellen. Ranul erklärte, sie sollten noch vor Anbruch der Dunkelheit so weit nach Norden gehen wie möglich, und die Jungen brachen auf. Aber sie erreichten fast augenblicklich eine tiefe Schlucht, die voller Büsche und toter Bäume war, und die ihnen den Weg versperrte. Ranul beschloss klugerweise, den Abstieg so kurz vor Einbruch der Dunkelheit nicht mehr zu riskieren, also schlugen sie ihr Nachtlager auf.
Sie entzündeten ein Feuer, und Ranul und die anderen vertrieben sich die Zeit damit, die beiden kleinsten Jungen zu verspotten und zu bedrohen. Aber es war der erste Tag, sie hatten noch genug Zeit, und außerdem waren sie nach dem langen Ritt müde. Also begnügten sie sich damit, die beiden Jungen mit dem Versprechen auf zukünftige Schrecken einzuschüchtern und legten sich schlafen. Arish sah dem Treiben zu, ohne etwas zu sagen. Ranul war zwei Jahre älter als er, aber
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