Der Moloch: Roman (German Edition)
Morgens eine Wächterin, die sie bei sich Gala nannte, mit einem Stapel Bücher in den Armen ihre Zelle betrat. Sie hockte sich hin und stapelte sie fein säuberlich in der Ecke der Zelle auf. Dann deutete sie darauf und sagte: » Mase.« Sie tippte sich an den Kopf, und Indaro nickte.
» Maron«, sagte sie. » Sie kommen von Maron.«
Sie handelten alle von dem Thema, über das er so lange und so oft geredet hatte – der Geschichte des Alten Berges und seiner Bevölkerung. Aber sie fassten das Thema weiter und tiefer, und außerdem behandelten diese Bücher nicht nur die lange vergangene Geschichte, sondern auch die jüngere Zeit, Verbündete, Nachbarn und die Politik. Indaro las jeden Tag mehrere Stunden und sog die Geschichten in sich auf, ohne sie zu hinterfragen. Als sie das erste Mal etwas über die Cité las, erkannte sie sie nicht sofort, denn sie hatte in der Geschichte einen anderen Namen. Als sie jedoch begriff, was sie da las, warf sie das Buch angewidert in die Ecke. Bei Galas nächstem Besuch drückte Indaro ihr die Bücher in die Arme und gab ihr mit Handzeichen zu verstehen, sie wegzuschaffen. Es kränkte sie, dass Maron sie für so naiv hielt, für so leicht manipulierbar.
Am nächsten Tag tauchte er zur gewohnten Zeit auf, den Stuhl in der Hand.
» Du magst die Bücher nicht, die ich dir geschickt habe?«, fragte er, setzte sich vor die Tür und lehnte sich dagegen.
» Ich bin keine Närrin, Maron«, sagte sie. Sie wusste, dass es ihr Stolz war, der sie zum Reden veranlasste, und dass Maron genau das gegen sie einsetzte, damit sie wieder mit ihm sprach.
» Mir war nicht klar, dass ich dich wie eine Närrin behandelt habe.«
Sie redete sich ein, sie hätte das Recht zu sprechen, um die Cité zu verteidigen. » Ich bin kein Kind, das man mit Fantasien beeinflussen kann, Fantasien von einer tyrannischen Cité und friedfertigen Blauen.«
Er zuckte mit den Schultern und spreizte die Hände. » Ich dachte, du würdest dich langweilen, und habe dir ein paar Bücher herausgesucht. Das hier ist eine Festung und nicht deine Große Bibliothek. Hier gibt es nur wenige Bücher, erst recht in deiner Sprache. Mir ist klar, dass du mit allen Argumenten für und gegen den Krieg vertraut bist, und ob er weitergeführt werden kann, ohne dass wir alle sterben. Ich bin sicher, dass solche Gespräche zwischen allen Angehörigen unserer Völker geführt werden, in den Herbergen und Heimen der Cité ebenso wie in denen unserer Städte. Ich wollte dich keineswegs beleidigen, indem ich dir solch abgegriffene Argumente anbiete.«
Sie glaubte, dass er sie verspotten wollte, sah ihn scharf an und antwortete nicht. Sie beschloss einfach, kein Wort mehr zu sagen.
Als hätte er gemerkt, was in ihr vorging, stand er auf und nahm den Stuhl hoch. » Wir haben heute auf dem falschen Fuß angefangen. Ich werde jetzt gehen und morgen zurückkommen.«
Als Soldat hatte sie ihre Cité jeden Tag verflucht, was auch ihr gutes Recht war. Aber sie würde keinem Feind zuhören, wie er ihr Heim kritisierte oder den Tod so vieler ihrer Kameraden in den Dreck zog, die für die Cité ihr Leben geopfert hatten. Sie wurde wütend, wenn sie nur daran dachte, aber als Maron sie am nächsten Tag erneut aufsuchte, fand sie es unmöglich, diesen Ärger für ihre Sache einzuspannen.
Nachdem er sich auf seinen hölzernen Stuhl gesetzt hatte, begann er. » Du nennst deine Feinde die Blauen oder Blauhäute. In Wahrheit jedoch haben sich ein Dutzend Nationen und Städte gegen die Cité zusammengeschlossen. Allein die odrysianische Allianz umschließt Buldekki, Fkeni, Panjali und sogar einige übrig gebliebene Garianer.«
» Die erste große Schlacht, die wir gefochten haben«, erwiderte sie, » ging gegen die Stammesleute der Tanaree, die sich die Gesichter mit blauer Farbe bemalt hatten. Als andere sich ihrem Kampf anschlossen, nannten wir sie einfach weiter Blauhäute. Ihr nennt uns Ratten. Es ist einfacher, so von seinem Feind zu sprechen. Diese Namen haben keine wirkliche Bedeutung.«
» Müllbergratten. Ja, so nennen wir euch. Weißt du, wann diese erste Schlacht stattgefunden hat?«
» Vor langer Zeit. Noch bevor die Cité belagert wurde.«
» Vor vielen Jahrhunderten. Die Cité hatte sich im Laufe der Jahrhunderte immer weiter auf das Stammesgebiet der Tanaree ausgedehnt, beutete rücksichtslos Mineralien für ihre Hochöfen aus und nahm sich das Vieh für die Bäuche ihrer Bürger. Die Tanaree waren ein hartes Volk mit strengen Sitten.
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