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Der Moloch: Roman (German Edition)

Der Moloch: Roman (German Edition)

Titel: Der Moloch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gemmell
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abends war es zunehmend kühler, aber der Herbst hatte gerade erst begonnen, und hier oben waren die Tage noch recht mild. Eine Waffe hätte sie nur mit Mühe in ihrer Kleidung verstecken können. Sie hatte vor mehr als einer Woche heimlich einen Hühnerschenkel zurückbehalten und den Knochen auf dem Steinboden ihrer Zelle angespitzt. Es war zwar eine erbärmliche Waffe, aber wenn man sie geschickt einsetzte, konnte man damit vielleicht eine Hauptschlagader durchbohren. Sie legte einen Rock und eine weite Tunika an, in der Hoffnung, dass der Stoff den Knochen, den sie vorn in den Bund gesteckt hatte, verbergen würde. Außerdem hoffte sie, dass die Wachen gut bewaffnet waren. Je mehr Waffen sie trugen, desto größer war die Chance, dass sie eine erbeuten konnte. Und mit einem Schwert in der Hand würde sie es mit der ganzen Garnison aufnehmen.
    Als sich jedoch ihre Zellentür öffnete, war Maron nicht da. Stattdessen eskortierten die Wachen sie durch die dunklen Hallen der Festung zu einem Platz, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Von den riesigen gemeißelten Steinquadern tropfte die Feuchtigkeit, und die mächtigen Steine strahlten den Geruch längst vergangener Zeiten aus. Gewaltige Eichentüren, in die monströse Kreaturen geschnitzt waren, öffneten sich majestätisch, und sie wurde in einen großen Raum geführt. Er war sehr hoch, so hoch, dass die Decke in der Dunkelheit verschwand. Der Steinboden erstreckte sich vor ihr wie die Avenue einer Stadt. Der Raum wurde von Lampen in gläsernen Kästen erhellt, die ein gleichmäßiges Licht spendeten. Sie hatte gehört, dass der Feind über ein magisches Wissen verfügte, wie man es in der Cité niemals gekannt hatte. Am gegenüberliegenden Ende des Raumes loderte ein Feuer in einem gewaltigen Kamin. Es war das erste Feuer, das sie seit Wochen sah, und sie fühlte sich unwillkürlich zu seiner tröstenden Wärme hingezogen. Vor dem Kamin stand ein breiter Tisch, an dem fünf Personen saßen. Auf der einen Seite saßen Maron und ein Reiter mit olivbrauner Haut in einer grauen Uniform. Neben ihnen saß ein blasser junger Mann mit dunklem lockigem Haar. Ihnen gegenüber saßen zu Indaros Überraschung Saroyan, Lord Leutnant des Ostens und … Fell Aron Lee.
    Fell sah sie an. Sein kühler Blick durchbohrte sie, als wollte er ihr irgendeine geheime Botschaft übermitteln. Sie nickte und setzte sich neben ihn, dann faltete sie die Hände und legte sie in den Schoß.
    » Wo sind die anderen?«, fragte sie ihn.
    » Sie werden hier nicht gebraucht«, antwortete Saroyan, als würde sie dieses Treffen leiten. Sie trug abgenutzte Reitkleidung, war verschwitzt und wirkte so gehetzt, als wäre sie in größter Eile zu diesem Treffen gekommen. Indaro wusste bereits, dass sie mit dem Feind unter einer Decke steckte, aber trotzdem schockierte es sie, die Frau hier zu sehen, mitten in Feindesland.
    Der Reiter in Grau ergriff das Wort. » Mein Name ist Gil Rayado. Mein Vater war Tuomi.« Indaro fiel auf, dass er die Sprache der Cité mit einem leichten Akzent sprach und zudem ein wenig lispelte. Er sah ausgesprochen gut aus, fand sie jedenfalls. Sein langes schwarzes Haar hatte er im Nacken zusammengebunden, und sein Bart war kurz und sorgfältig gestutzt. » Es sind vielleicht noch fünfzig Krieger der Tuomi übrig«, erklärte er, » und etwa zweihundert Frauen. Also bin ich ebenso wie du, Fell, einer der Letzten meines Volkes. In hundert Jahren werden ihre Namen wahrscheinlich vergessen sein.«
    Indaro achtete sorgfältig darauf, sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen. Fell war der Letzte seines Volkes? Was hatte das zu bedeuten? Fell neben ihr reagierte nicht.
    Gil Rayado sprach weiter. » Maron ist der Nachkomme vieler Rassen, aber geboren und erzogen wurde er in Petras. Er nennt sich selbst einen Gelehrten der Petrassi.« In der Stimme des Mannes schwang ein Hauch von Belustigung mit, und Indaro vermutete, dass dies ein Scherz war, den nur die beiden Männer verstanden.
    » Saroyan …«
    » Wir wissen, was Saroyan ist«, unterbrach ihn Fell.
    » Vielleicht«, fuhr Gil freundlich und unbeirrt fort, » aber diese Vorstellung erfolgt nicht um deinetwillen. Sondern sie gilt meinen jungen Freund Elija hier.« Er deutete auf den lockigen Jüngling, der unter ihren kritischen Blicken errötete. Indaro fragte sich, womit er sich wohl seinen Platz an diesem Tisch verdient hatte.
    » Saroyan«, fuhr Gil fort, » ist Lord Leutnant der Cité. Sie ist kein Soldat, sondern eine

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