Der Moloch: Roman (German Edition)
waren verstrichen, aber die entsetzliche Szene tauchte immer wieder vor seinem inneren Auge auf.
» Arish, es ist Zeit«, sagte eine Stimme.
Er sah hoch. Es war Riis. Er war groß für sein Alter, und seine grauen Augen blickten ernst. » Du sagtest, du würdest mitmachen«, sagte der Jüngere.
Wie betäubt nickte Arish und rappelte sich hoch. Dicht gefolgt von Riis verließ er die Kaserne und ging über den mit Abfall bedeckten Hof auf der Rückseite. Sie kamen zu einem kleinen Wäldchen aus niedrigen Bäumen, wo er sich mit den anderen Jungen nach Einbruch der Dunkelheit hatte treffen wollen. Er hatte die anderen gemieden, seit sie befreit worden waren. Aber er hatte versprochen, in dieser Nacht zu ihnen zu kommen. Wahrscheinlich würde er sie nie wieder sehen. Früher am Tag war er gerufen worden, um Shuskara zu treffen. Der General hatte ihm gesagt, dass er sein neuer Adjutant werden würde. Arish würde einen neuen Namen bekommen, und seine Vergangenheit würde aus der Geschichte der Cité getilgt. Sie würden am nächsten Tag zum Kap Salient aufbrechen.
Die letzten fünf Jungen sammelten sich um ein kleines Lagerfeuer, und Arish fragte sich, wie sie hier so ruhig sitzen konnten, während er in den Flammen nur einen sich windenden, kreischenden Schrecken sah.
» Wurde auch Zeit«, bemerkte Ranul mit einem Anflug seiner alten Übellaunigkeit. Doch Ranul hatte sich durch diese Erfahrung am meisten verändert, fand Arish. Der Schläger war verschwunden, und an seine Stelle war ein trauriger, nachdenklicher junger Mann getreten, der niemandem mehr nur aus Vergnügen Schmerz und Furcht zufügte.
» Parr hat es gemacht«, sagte er zu Arish. » Wir waren uns alle einig. Du warst ja zu beschäftigt.« Die Worte klangen anklagend, aber ihr Tonfall speiste sich aus Erinnerung und Gewohnheit, nicht aus einem Gefühl.
Arish blickte auf den langen Metallstab, den Ranul in der Hand hielt. Auf das geschwungene Ende im Feuer, das vor Hitze weiß glühte. » Ein Brandeisen!« Arish spürte, wie ihm eine Gänsehaut über den Rücken lief.
» Wir haben alle zugestimmt, den Schwur zu leisten, und uns damit brandmarken zu lassen, mit einem S, damit wir es niemals vergessen, wie lange es auch dauern mag.«
» Den Schwur?«
» Den Kaiser zu töten.«
Fell saß lange da und hielt Doons erkaltende Leiche in seinen Armen. Schließlich legte er sie sanft auf den Boden, stand auf und sah sich um. Es war unmöglich, sie in dieser harten Erde zu begraben. Er betete inständig zu den Göttern von Eis und Feuer, sie als Kriegerin im Garten der Steine zu empfangen. Dann zog er ihr das rote Lederwams aus, faltete es zusammen und klemmte e s sich unter den Arm. Er schritt zurück zum Rand der Senke.
In der Stille der Hochebene konnte er das zwingende Flüstern nicht mehr ignorieren, das schon so lange zu ihm gesprochen hatte. Er sah nach Westen, dorthin, wo als Sohn der Cité seine Pflicht lag. Dort stand die Sonne hoch und hell an einem blauen Himmel.
Es hätte Indaro sein können, dachte er.
Er wandte sich nach Osten, wo die Wolken tief über dem Hochland hingen, und machte sich auf den Weg zurück zum Alten Berg.
26
Indaro warf das Buch, in dem sie gerade las, in die Ecke und starrte aus dem Fenster. Sie war wahnsinnig gelangweilt. Der Ausblick war beeindruckend schön … ein leuchtend grüner, von Wolken durchzogener Wald unter einem kristallklaren Himmel. Aber sie war seiner überdrüssig.
Sie war von ihrer alten Gefängniszelle in diese Kammer verlegt worden, als das Eis auf ihrem Wassereimer des Nachts gefror. Man betrachte sie als Ehrengast, hatte Maron ihr gesagt; jetzt schlief sie in einem Bett mit Decken und bekam zweimal am Tag etwas zu essen, wenngleich es auch eine eher kärgliche Mahlzeit war. Aber die Tür zu ihrem Raum blieb nach wie vor verschlossen.
Maron hatte ihr vorgeschlagen, noch vor Tagesanbruch aufzustehen, um am Tor der Sonne den neuen Tag heraufziehen zu sehen. Dieser Ritus war für die Ältesten der Tuomi von großer Bedeutung gewesen. Eigentlich hatte Indaro kein echtes Interesse an solch sinnlosen Ritualen, aber sie spielte mit, weil sie hoffte, irgendeinen Vorteil daraus ziehen zu können. Also war sie an fünf Morgen hintereinander in der Dunkelheit aufgestanden und den Berg hinaufgegangen, um dieses Ereignis zu beobachten. Fünfmal war sie enttäuscht zurückgekehrt. Heute wollten Maron und sie zusammen zum Tor der Sonne gehen, damit Indaro es bei Tageslicht bewundern konnte.
Morgens und
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