Der Moloch: Roman (German Edition)
Andere, die ihrem Gewerbe nachgingen, wurden einfach nur Huren genannt. Er war ein bemerkenswerter Mann, und sie vermisste ihn, wenn er nicht bei ihr war. Betrat er ihre Räume, dann schien die Luft zu knistern, wirkte wie perlender Wein, und wenn er ging, wurde aus dem Wein wieder einfaches Wasser.
Aber er war wie ein Stier. Er war leidenschaftlich in allem, was er tat, und er verfügte über ebenso viel Leidenschaft und Stärke wie vor Jahrzehnten, als sie ihn das erste Mal schüchtern in ihr Bett gelassen hatte. Vielleicht sogar noch mehr.
Und ich bin nur eine alte Hure, dachte sie, und eines Tages werde ich zugeben müssen, dass ich mit meinem Geliebten nicht mehr mithalten kann.
Aber noch ist es nicht so weit.
Sie setzte sich entschlossen auf und versuchte, den Schmerz in ihrem Unterleib zu ignorieren, die Schmerzen, die sie in ihrem ganzen Körper spürte. Sie trat die zerwühlten Laken weg, glitt aus dem Bett und ging auf nackten Füßen zum Fenster. Sie öffnete es weit, um den Morgen hereinzulassen. Sie atmete tief die kühle Luft ein, roch die feuchten Blätter und das geschnittene Gras und ging in den Salon. Er war makellos. Amita hatte ihn sauber gemacht und aufgeräumt, nachdem die Liebenden ins Schlafzimmer gegangen waren. Ich bin keine so verwöhnte Lady wie Fiorentina, dachte sie, dass mir solche Dinge nicht auffallen würden.
» Amita?«, wiederholte sie, ohne jedoch wirklich eine Antwort zu erwarten. Ihre Kammerzofe erwartete, dass sie bis in den späten Vormittag schlief, denn sie war jung und hätte das auch getan, wenn sie die Chance dazu gehabt hätte.
Petalina schenkte sich ein Glas Wasser ein und trank gierig. Tropfen fielen auf ihre nackten Brüste und ihren Bauch. Sie hielt das Glas immer noch in der Hand und ging in den Vorraum, wo ihre Kammerzofe in einem kleinen Alkoven schlief. Ach, warum soll ich das Mädchen stören?, dachte sie dann. Stattdessen ging sie selbst wieder ins Bett zurück, zog die Decke bis zur Nase hoch und genoss die Wärme, die sich in den Laken gehalten hatte.
Amita starrte auf die Stümpfe der abgerissenen Seiten im Buch. Man hatte sie die uralten Schriften der Cité gelehrt, aber dies hier war eine nicht vertraute, winzige Handschrift, und sie brauchte lange, bis sie herausfand, was sie da vor sich hatte. Auf diesen feuchten, vergilbten Seiten mit ihrer feinen ordentlichen kleinen Handschrift standen Armeelisten, Spalten über Spalten mit Namen von Soldaten, aufgeführt nach Jahren, Regiment und Kompanie, dazu der Name des Vaters sowie das Geburtsdatum und der Geburtsort. Sie blätterte zurück und fand das letzte Regiment, das aufgeführt war, die Zweite Adamantine Infanterie. Aber es waren so viele Seiten herausgerissen, dass sie unmöglich erkennen konnte, ob der Junge an diesem Regiment interessiert gewesen war oder an den nächsten. Entweder geht er sehr leichtsinnig mit diesen vergessenen Büchern um, oder er verwischt sehr sorgfältig seine Spuren, sagte sich Amita.
Ihr wurde bewusst, dass sie ihre Zeit verschwendete. Sie glitt wieder zurück in das eiskalte Wasser und konzentrierte sich auf ihre Aufgabe. In dem knietiefen Wasser endete eindeutig jede Hoffnung, von diesem Raum einen Zugang zu den Hallen zu finden. Trotzdem wollte sie ihre Mission vollständig zu Ende bringen, hob die Fackel und begann, nach dem Portal zu suchen. Am hinteren Ende der Bibliothek, mitten in den schimmeligen Bücherstapeln, fand sie eine schmale, getäfelte Tür, deren Angeln innen saßen. Amita starrte sie eine Weile zögernd an, weil sie Angst hatte, dass ihr ein Schwall schwarzes Wasser entgegenkommen würde, wenn sie die Tür öffnete. Schließlich sah sie jedoch, dass das Holz bereits gerissen war und sich niemals gegen eine Flut hätte stemmen können. Sie öffnete sie ein Stück und roch sofort den Gestank der Abwasserkanäle. Das Wasser auf der anderen Seite war ebenfalls knietief. Sie hatte Mühe, die Tür weiter aufzuziehen, weil sie verfault war und sich verbogen hatte. Sie schob zuerst die Fackel durch den Spalt und dann ihren Körper. Sie stand in einer leeren, runden Kammer, ähnlich wie der, die sie auf ihrem Weg nach unten durchquert hatte. Irgendwo unter dem schlammigen Wasser lagen die Stufen, die hinabführten zur Halle der Wächter.
Nachdem sie ihre erste Aufgabe erledigt hatte, kehrte sie in die Bibliothek zurück. Sie machte sich Sorgen, was die Zeit anging, und versuchte zu erraten, ob es bereits Morgen war. Sie beschloss, einen Teil der Kammer zu
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