Der Moloch: Roman (German Edition)
vernichtet. Zehntausende lagen tot oder sterbend auf der Ebene. Die Reiter, etwa zweitausend Mann stark, griffen den Feind weit im Süden des Schlachtfelds an und überwältigten eine ganze Kompanie der Blauen. Sie schlachteten sie bis auf den letzten Mann ab. Berauscht von ihrem Erfolg kehrten sie schließlich nach etwa einem Dutzend Scharmützeln in die Cité zurück. Vierzig Mann weniger, aber mit mehr als einhundertfünfzig zusätzlichen Pferden, die sie herrenlos und halb verhungert in den Wochen nach der vernichtenden Niederlage auf der Ebene gefunden hatten. Die Kavallerie war in den letzten Jahren durch den Mangel an Nachwuchspferden hart getroffen worden. Die Ebenen im Osten der Cité waren seit Menschengedenken Pferdeweiden gewesen. Die leichte Kavallerie brauchte Tiere, die mittelgroß, schnell, wendig und ausdauernd waren. Viele Generationen solcher Pferde waren auf dem süßen Gras der Ebenen gediehen. Doch der Verschleiß an diesen Pferden war sehr hoch, denn in den erbitterten Gefechten erlitten sie vor allem durch Beinbrüche hohe Verluste. Als ihre Weiden dann vom Feind bedroht wurden, wurden die jungen Pferde näher zur Cité gebracht. Schließlich konnten sie nirgendwo mehr grasen und wurden mit importiertem Getreide gefüttert, das die Verbündeten der Cité von jenseits der westlichen Meere lieferten. Dennoch waren die Verluste unter den Pferden hoch, und die Nachtfalken wurden gelobt, weil sie so viele neue Pferde erbeutet hatten. Es war ein kleiner Lichtblick im düsteren Nachhall dieser Schlacht.
Wegen der Verletzlichkeit der Cité nach Osten hin beschlossen die Generäle in ihrer Weisheit, zwei neue Kavallerieschwadronen zu bilden. Sie wurden aus neuen, jungen Soldaten auf den frisch erbeuteten Pferden gebildet sowie auf Pferden, die man von der Zweiten Celestine und der Ersten Adamantine geliehen hatte. Trotz der wütenden Proteste des Kommandeurs der Nachtfalken, wurde die gesamte Schwadron, da sie vorübergehend ihrer Pferde beraubt war, in den Wachdienst innerhalb des Palastes versetzt. Sehr zum Unwillen aller Reiter.
So kam es also, dass Riis, stellvertretender Kommandeur der pferdelosen Kavallerie, jetzt mit zwei seiner Soldaten die Mauer auf dem Südflügel bewachen musste.
» Ich bin hungrig«, beschwerte sich Berlinger, ein verdrießlicher Mann, der für einen Reiter ziemlich stämmig war. » Mein Magen denkt allmählich, man hätte mir die Kehle herausgerissen.«
» Das ist genau dein Problem, Berl«, erwiderte Riis, » nämlich dass du deinen Magen für dich denken lässt. Wenn du noch fetter wirst, wirst du nie wieder auf ein Pferd steigen. Dann hast du etwas, worüber du dich wirklich beschweren kannst.« Die Reiter klagten ständig darüber, dass sie nicht in die Schlacht ziehen konnten, aber Riis vermutete, dass im Grunde ihres Herzens viele froh über diese Kampfpause waren.
Er blickte in den hübschen Garten vor sich hinunter. Er konnte den Feigenbaum und einen Stützpfeiler sehen.
» Was ist denn da unten so interessant?«, erkundigte sich Berlinger.
» Das sind die Frauengemächer«, erwiderte der dritte Mann, Chevia Halbhand, ein altgedienter Kavallerist, dessen Vorfahren Fkeni gewesen waren. » Was auch immer du gerade denkst, Riis, dafür kann man dich in Eisen legen.«
Riis ignorierte ihn und ging zur Treppe, die in den Garten hinunterführte.
» Wir dürfen den Südflügel nicht betreten«, sagte Berlinger. » Das weißt du doch.«
» Ich betrete ihn auch nicht. Ich muss nur pissen«, antwortete Riis und lief leichtfüßig die Stufen hinunter.
» Seit wann bist du denn so verdammt schüchtern?«, rief Berlinger ihm nach.
Riis hatte den Garten in den letzten Tagen beobachtet und wusste, dass nur zwei Fenster darauf hinausführten. Beide lagen hoch oben in einem Turm und gehörten zu den Gemächern eines uralten Verwandten der Vinceri. Er duckte sich unter den Feigenbaum, sodass die beiden Reiter ihn nicht sehen konnten, und löste den lockeren Ziegelstein in dem Pfeiler. Er nahm das Stück Papier heraus, das er in dem Loch fand, stopfte es in eine Tasche, schob den Stein wieder hinein, pinkelte gegen den Baumstamm und lief dann die Treppe wieder hoch.
30
Wenige Monate zuvor hatte Riis an der nordöstlichen Front gegen eine vereinigte Armee aus Odrysianern und Stammesleuten der Fkeni am Wolkenkamm gekämpft. Die Nachtfalken standen bereits mehr als drei Jahre im Feld, und es war kein Ende ihrer Mühsal abzusehen. Die Blauen konnten sich jederzeit in
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