Der Moloch: Roman (German Edition)
freundliche Geste. Der Mann trug ebenfalls die Rüstung der Wildkatzen, und Riis überlegte, ob die beiden wohl ein Liebespaar waren. Dann stand die Frau auf und sah sich um. Ihr Blick glitt über ihn hinweg, als wäre er ein Baumstumpf, dann ging sie weiter. Riis sah wieder zurück zu dem Verletzten, der den Kopf in den Nacken legte und die Augen vor Schmerz geschlossen hatte. Riis zuckte zusammen, als er ihn erkannte, und ging zu ihm.
» Evan?«, fragte er und hockte sich hin.
Der Soldat öffnete müde die Augen, aber er erkannte ihn nicht. Sein Gesicht war grau und verschwitzt, und er umklammerte mit der gesunden Hand seinen gebrochenen Arm. Es war ein übler Bruch; der weiße Knochen seines Unterarms hatte sich durch die Haut gebohrt, und man sah das rote Fleisch.
» Evan, ich bin es, Riis.«
Sie waren nach der Nacht der Brandmarkung im Laufe der Jahre mehrmals aufeinandergetroffen. Eine Weile hatten sie sogar gemeinsam gedient.
Evan blinzelte sich den Staub aus den Augen und nickte dann. » Alter Hundesohn«, sagte er, und dann mischte sich wieder ein bisschen von seinem alten Selbst in seine Stimme. » Immer noch am Leben, Riis? Hast dich den Pferdeschindern angeschlossen, wie ich höre?«
Riis grinste ihn an. Es tat gut, Evan wiederzusehen.
» Wo ist Parr?«, fragte der Verletzte.
Riis war die Frage leid. Sein Bruder und er hatten mehr als zwanzig Jahre zusammen gedient. Seit Parr getötet worden war, war die Frage nach seinem Bruder immer das Erste, was man von ihm wissen wollte.
» Tot«, erwiderte er knapp.
Evan legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen wieder. » Hast du etwas Lorassium?«, wollte er wissen.
» Ein bisschen«, erwiderte Riis und suchte in einer Tasche. Evan öffnete die Augen wieder. » Guter Mann«, antwortete er. » Ich brauche es, bevor die Knochenbrecher hier auftauchen.«
Riis zog einen Klumpen der getrockneten Blätter heraus. Er rollte eines davon zu einer Kugel und schob sie in Evans Mund. Sein Freund kaute lange darauf herum, und schließlich seufzte er.
» Es gibt noch einen weniger von uns«, erklärte er dann undeutlich. » Ranul ist ebenfalls tot.«
» Das wusste ich nicht.«
» Aber ich habe Arish gefunden. Diesen Mistkerl.«
Riis runzelte die Stirn und überlegte, ob der Schmerz seinen alten Freund vielleicht verwirrt hatte. » Arish ist vor fast dreißig Jahren verschwunden«, erklärte er. » Bist du dir sicher?«
» Er hat seinen Namen geändert. Dieser Mistkerl«, wiederholte Evan. » Hat gedacht, ich würde ihn nicht erkennen.«
Er rollte sich, richtete sich auf und legte seinen Mund an Riis’ Ohr. » Wir müssen alle zusammentrommeln«, sagte er mit der Dringlichkeit eines Trunkenboldes.
» Wer? Wen müssen wir zusammentrommeln?«
» Arish, dich und mich. Er nennt sich jetzt Fell Aron Lee.« Riis starrte ihn überrascht an. Jeder hatte schon von Fell Aron Lee gehört.
» Und Saroyan.«
» Wen?«
» Lord Leutnant.«
» Was hat er damit zu tun?«
» Sie. Ein eiskaltes Miststück. Wir müssen es bald tun. Oder wir sind alle tot. Wir sind nur noch zu dritt.«
» Will sie …« Riis sah sich um. » Diese Saroyan. Will sie denn auch seinen Tod?«
Evan nickte. » Mehr als jeder andere von uns.«
Riis wurde daraus nicht schlau. Sein Freund schien das Bewusstsein zu verlieren, also setzte er sich neben ihn und wartete auf den Feldscher. Seine Gedanken schweiften ab, und nach einer Weile stieß er den Soldaten der Wildkatzen sanft mit dem Ellbogen an. » Evan, diese Frau, mit der du da eben geredet hast …«
Evan hatte die Augen verschlossen, aber er lächelte. » Ganz der alte Riis«, nuschelte er undeutlich. Dann packte er schwach Riis’ Arm. » Pass für mich auf sie auf«, bat er ihn drängend.
» Das werde ich«, versprach Riis ihm. » Wenn ich eine Chance bekomme. Ist sie deine Frau?«
Aber Evan hatte die Augen bereits wieder geschlossen. » Indaro«, sagte er noch, bevor er das Bewusstsein verlor.
Wochen später, nach der Vernichtung der Maritimen und der Degradierung der Nachtfalken zu Wachsoldaten, erreichte Riis in den Kasernen am Paradies-Tor eine Botschaft. Darauf stand einfach nur Dickbäuchiges Pony, morgen Mittag. Unterzeichnet war die Nachricht mit Sami. Riis starrte lange auf den Zettel. Mit Abstand betrachtet, wirkte sein Schwur von früher, den Kaiser zu töten, naiv und kindlich. Er zuckte mit den Schultern, ohne sich zu überlegen, was er tun würde. Aber ein Fehler im Schichtplan sorgte dafür, dass er am
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