Der Moloch: Roman (German Edition)
nachdenklich.
» Was ist mit ihm passiert?«
Saroyan ignorierte die Frage. » Ich muss jetzt gehen. Du wirst mich nicht wieder sehen. Broglanh wird Kontakt zu dir halten. Und wenn es unbedingt sein muss, kannst du in dieser Schenke eine Botschaft für Sami hinterlassen.«
Riis tat, worum er gebeten wurde. Er brachte das Mädchen Amita in ihr neues Quartier zu der Hure Petalina. Obwohl sie keine Ahnung hatte, wer er war, wollte er sie sich ansehen. Sie war bleich und blond und wirkte nicht älter als fünfzehn. Sie hatte glänzendes Haar und verbarg ihr Gesicht nervös hinter seinem hellen Vorhang. Er fragte sich, was das denn für eine Verschwörung war, wenn man glaubte, dass ein Mädchen wie sie nützlich sein könnte.
Er beobachtete sie manchmal in der Nacht, wenn sie heimlich durch den Palast streifte. Ihre zähe Hartnäckigkeit amüsierte ihn, obwohl er glaubte, dass sie ihre Zeit verschwendete. Einmal war er sogar gezwungen gewesen, einen Wachsoldaten zu töten, der ihr durch die dunklen Korridore nachschlich. Obwohl er vermutete, dass der Mann eigentlich eher vorhatte, das Mädchen zu vergewaltigen, als sie wegen ihres Herumschnüffelns zu melden. Jedenfalls durfte er beides nicht zulassen. Riis schleppte die Leiche des Mannes auf eine der tiefer liegenden, überfluteten Ebenen und sorgte dafür, dass sie in dem stillen Wasser versank.
Amita war eine Pflicht für ihn, eine Pflicht und eine Last. Aber als er später erfuhr, dass sie tot war, trauerte er mehr um sie, als er es für möglich gehalten hätte.
Die Schwestern Petalina und Fiorentina waren in eine Familie geboren, die nicht mit Jungen gesegnet war, und wurden von ihrem Vater dazu erzogen zu jagen, auf die Fuchsjagd zu gehen, zu schwimmen, zu rennen und ein Schwert zu gebrauchen. Genauso erlernten sie die eher damenhaften Tugenden des Singens und Tanzens. Eine Generation später wurden Mädchen in die Armee eingezogen und starben zu Tausenden auf den Schlachtfeldern vor den Mauern der Cité, aber damals wurde ihr Vater als harmloser Exzentriker betrachtet, weil er seinen Töchtern eine solche Ausbildung zukommen ließ.
Petalina saß in der Festhalle des Kaisers an einer Tafel, die unter dem Gewicht von goldenen Tellern, reich verzierten Kerzenleuchtern und Besteck beinah zusammenbrach. Wundervolle Buketts aus exotischen Blumen mit ausgestopften Kolibris und bunten Fischen standen darauf, ganz zu schweigen von Bergen an Speisen und Krügen voller Wein. Sie fragte sich, was ihr Vater wohl davon halten würde.
Sie blickte am Tisch entlang zu ihrer Schwester, die ihrem Ehemann Rafael Vincerus lauschte, der ihr gerade vertraulich etwas zuflüsterte. Fiorentina musste ihren Blick gespürt haben, denn sie sah hoch und lächelte Petalina an. Rafael sah den Blick ebenfalls, drehte sich um und hob sein Glas zum Gruß in Petalinas Richtung.
» Möchtet Ihr noch ein paar von den kleinen Fischen?«, fragte der langweilige Fremde an ihrer Seite. Er schien zu glauben, dass sie ihn anlächelte, und hielt ihr jetzt einen Korb mit den getrockneten Fischen hin, die in seinem Land als Delikatesse galten. Was für ein merkwürdiges Volk, dachte sie. Die Westlichen Inseln sind von einem ganzen Meer voller lebender Fische umgeben, aber sein Volk schätzt diese trockene, zähe Scheußlichkeit, die wie gesalzenes Holz schmeckt.
» Nein danke.« Sie lächelte herzlich, sah ihn an und setzte dann entschuldigend hinzu: » Ich fürchte, ich habe keinen besonders großen Appetit.«
Er lächelte herablassend, als würde das nur seine Meinung bestätigen, dass vornehme Damen nur selten dem Essen zugetan waren, wenn sie denn überhaupt etwas aßen. Petalina lächelte, als sie an Marcellus und sich selbst dachte, wie sie vor einigen Stunden nach einem leidenschaftlichen Liebesakt gemeinsam eine Lammkeule verzehrt hatten. Und wie er gelacht hatte, als sie ihre Zähne in das Fleisch geschlagen hatte.
Jetzt wünschte sie sich, er wäre bei ihr, denn der leere Stuhl an ihrer Seite lieferte ihr keinen Vorwand, nicht mit dem Botschafter zu reden. Er hatte nur ein einziges Gesprächsthema. Sosehr sie auch versuchte, ihn davon abzubringen und ihn nach seiner Familie und den Sitten seines Landes zu befragen oder seiner Meinung über den Krieg, ließ er sich nicht von seinem Lieblingsthema abbringen. Nachdem sie alles über Fisch gehört hatte, was sie niemals hatte wissen wollen, hatte sich Petalina suchend nach einer Ablenkung umgesehen. Aber sie konnte mit dem Gast ihr
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