Der Moloch: Roman (German Edition)
Petalina. » Marcellus will, dass ich heute zum Kleinen Opernhaus gehe, und er hat mir das hier geschickt, damit ich es trage.«
» Tragen?«
» Ich muss es an mein Kleid heften.«
Amita fand zwar, dass das Gewicht dieses Buketts den Schnitt jedes Kleides ruinieren würde, behielt diese Meinung aber für sich. Wenigstens schienen die Blumen Petalina von ihren nächtlichen Exkursionen abgelenkt zu haben.
» Wenn du den Herrn heute Nacht treffen willst, bleibt nicht mehr allzu viel Zeit«, erklärte Amita. Es dauerte immer Stunden, Petalina zu baden, zu pudern, anzukleiden und zu schmücken. Sie gab ihrer Herrin den Strauß zurück, aber Petalina stieß einen leisen Schrei aus und ließ ihn fallen. Dann sog sie an ihrem Finger und zeigte ihn Amita, als wäre sie ein Kind. » Ich habe mich daran gestochen«, beschwerte sie sich.
Als sie badete, plauderte Petalina arglos über Marcellus, und Amita lauschte zerstreut. Die Frau war ein Widerspruch und ein Rätsel. Sie benahm sich häufig wie ein Mädchen von sechzehn Jahren und manchmal wie ein Kind von sechs. Und doch wusste Amita, dass Petalina eine intelligente Frau war. Manchmal gab es Augenblicke, in denen sie einen kühl kalkulierenden Blick in den Augen der Kurtisane bemerkte, der so gar nicht zu den Worten passte, die sie äußerte. Sie zweifelte nicht daran, dass Petalina ihre nächtlichen Abenteuer keineswegs vergessen hatte und beschloss, in Zukunft vorsichtiger zu sein.
Bei Anbruch der Dämmerung war Petalina noch eleganter als gewöhnlich. Sie trug ein graues Seidenkleid mit einer Reihe von Mondsteinen am Kragen. Als sie das Bukett nahm, um es an das Kleid zu heften, fand Amita, dass die aufdringlichen Rosen ihre Herrin keineswegs schöner machen würden. Dann sah sie, dass ein Blutstropfen die Seidenblüten der Corsage verunzierte.
Petalina war entsetzt. » Es ist ruiniert!«, rief sie. Sie riss dramatisch die Augen auf. » Das Blut wird niemals herausgehen!« Sie warf einen Blick zur Tür, wo bereits zwei große Soldaten bereitstanden, um sie zu eskortieren. » Und ich bin schon jetzt spät dran.«
Amita biss sich auf die Lippe. » Ich werde es beseitigen«, sagte sie beruhigend. » Ich werde die beschmutzte Blüte herausschneiden. Es sind so viele, dass es nicht auffallen wird.«
Petalina starrte hilflos von den Blumen zu Amita. Mit ihrer hohen Stirn und den riesigen blauen Augen sah sie wie ein verängstigtes Kätzchen aus.
» Aber ich habe mich jetzt schon verspätet«, wiederholte sie. Das Kleine Opernhaus befindet sich auf der anderen Seite des Palastes.«
» Dann geht jetzt, Mistress. Ich werde das Bukett reparieren und Euch folgen. Das dauert nur ein paar Augenblicke.«
» Weißt du denn, wo das Kleine Opernhaus ist?«
» Ich werde es schon finden. Ich werde Euch einholen, das verspreche ich.«
Petalina drehte sich zur Tür herum und blickte vertrauensvoll zu den beiden Leibwächtern in ihren schwarzsilbernen Uniformen hoch. Als sie verschwunden waren, lief Amita zu ihrem Nähkorb und nahm eine winzige Schere heraus. Sie schnitt sorgfältig die blutbefleckten Blüten weg und betrachtete dann kritisch das Ergebnis. Der Strauß war schief. Sie drehte ihn herum und fand versteckte Blüten darunter. Sie schnitt eine heraus und nähte sie an die Stelle der Blüte, die sie abgeschnitten hatte. Dann drehte sie die Rosen ein bisschen, um die Stiche zu verbergen. Das musste genügen. Mit dem Strauß in einer Hand und mit der anderen ihre Röcke raffend rannte sie aus der Wohnung und in den Flur.
Sie wusste theoretisch, wo sich das Kleine Opernhaus befand. Es lag mitten in einem See im Westen des Palastes. Das bedeutete, sie musste den Korridoren so lange geradeaus folgen, bis sie zu den grünen Marmormauern des Frieds kam, dem Herzen des Palastes. Dort musste sie sich nach links wenden, bis sie die Tür nach draußen fand. Wenn sie sich erst einmal draußen befand, so hoffte sie, würde der See schon zu sehen sein.
Köpfe wandten sich zu ihr um, und Soldaten lachten anzüglich, als sie durch die marmornen und steinernen Korridore rannte, die Röcke gerafft und den Strauß in der Hand. Sie lief durch schmale Flure mit niedrigen weißen Decken, durch hohe Hallen mit gewaltigen, geschmückten Gewölben, Treppen hinauf und Treppen hinunter. Sie war außer Atem, als sie endlich diese grüne Mauer vor sich sah. Dann bog sie links um eine Ecke und stand plötzlich auf dem oberen Absatz einer anderen Treppe. Sie rannte hastig hinunter und blieb
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