Der Moloch: Roman (German Edition)
sie auf dem Alten Berg zum ersten Mal getroffen hatte. Er hatte keine Erfahrung mit weiblichen Kriegern. Die einzigen Frauen, die er in den Hallen getroffen hatte, waren entweder Huren oder alte Weiber gewesen, und beide hatten die meiste Zeit gelächelt, entweder um zu gefallen oder um zu schmeicheln. Indaro dagegen lächelte nur selten, und zwischen ihren dunklen Brauen standen zwei tiefe, senkrechte Falten. Elija war ihr möglichst aus dem Weg gegangen. Aber am zweiten Tag nach ihrem Treffen war sie zu ihm gekommen und hatte ihm kurz und bündig erzählt, dass sie Emly und Bartellus nach der Flut gesehen hatte. Sie schilderte ihm jede noch so kleine Einzelheit des Treffens und wiederholte alles geduldig, wenn er nachfragte. Er wusste bereits seit einiger Zeit, dass Emly noch am Leben war, aber dies war das erste Mal, dass er jemanden traf, der mit ihr gesprochen hatte. Selbst wenn das schon acht Jahre zurücklag, sog jedes er Wort begierig in sich auf.
Dafür erzählte er ihr von seiner Zeit mit Rubin. Sie hatte gewusst, dass ihr Bruder dort unten war. Das war auch der Grund gewesen, warum sie selbst in die Hallen hinuntergestiegen war. Sie war ihm gefolgt. Sie hatte zwei Jahre dort verbracht, ihn aber nicht finden können. Elija wünschte sich sehr, dass er ihr sagen könnte, was mit seinem Freund passiert war.
Dann drangen die Nachrichten von Amitas Tod bis zum Alten Berg. Einige Tage später folgten ihnen spröde Papierrollen, Karten und Pläne vom Palast und den Abwasserkanälen, für die das Mädchen sein Leben geopfert hatte. Niemand konnte Elija sagen, wie Amita gestorben war, aber er wusste, wie furchtlos sie war, und nahm an, dass sie tapfer gestorben war, fest entschlossen, ihm eine Chance auf Erfolg zu gewähren. Viele Nächte lang weinte Elija über diesen Verlust. Ebenso viele Tage saß er zusammen mit Indaro am Tisch, wo sie über den erbeuteten Karten brüteten, Mauern, Tunnel und Kanäle aus den schwachen Linien auf den Blättern des brüchigen Papiers herauslasen, das sie vor sich ausgebreitet hatten.
Indaros Wissen über die Hallen beeindruckte ihn und schüchterte ihn gleichzeitig ein. Er konnte sich unmöglich vorstellen, dass eine solche Frau dort unten gelebt haben sollte. Sie erzählte ihm, sie würde nur ein kleines Gebiet kennen, unter dem Südflügel des Palastes, in dem sich die Bibliothek der Stille befand und die Halle der Wächter, und dann die Cité südlich davon. Er wiederum hatte sich stets an die Hauptrouten gehalten, die von den Kloakern bei ihren Wegen durch das riesige Netzwerk von Tunneln benutzt wurden, aber er kannte kein Gebiet besonders gut bis auf das um die Halle des Blauen Lichts herum. Sie lag, wie sie herausfanden, unter der Großen Bibliothek und war folglich nutzlos für sie. Keiner von ihnen wusste irgendetwas über die Kavernen unterhalb des Frieds und kannte auch niemanden, der jemals dort gewesen wäre.
Eines Morgens leistete ihnen ein untersetzter, blonder Soldat namens Garret Gesellschaft. Er war zusammen mit Indaro und Fell auf dem Alten Berg eingetroffen und konnte lesen, was ihn von den meisten anderen Soldaten unterschied. » Was ich nicht verstehe«, sagte Garret, nachdem er eine Weile stumm zugesehen und zugehört hatte, » wenn die Halle der Wächter, die zum Palast hinaufführt, geflutet ist, wie du sagst, dann stehen doch sicher auch die anderen Hallen, jedenfalls die, die wir hier sehen«, er deutete auf die Karten, » unter Wasser.«
» Das Ganze ist ein bisschen komplizierter«, erwiderte Indaro kurz angebunden.
Sie sagte nichts weiter, also übernahm Elija es, ihm die Lage zu erklären. » Gil hat Kundschafter hineingeschickt, durch die Höhlen am Kap Salient, dort wo ich aus den Hallen entkommen bin. Sie haben jemanden gefunden, der immer noch in den Abwasserkanälen lebt, einen Kloaker. Er hat erzählt, dass die Fluten und die in den Abwässern treibenden Dinge im Laufe der letzten beiden Jahre einige Tunnel blockiert haben und dadurch Gebiete geschaffen haben, die zuvor überflutet waren, jetzt aber trocken liegen. Genauso wie andere Gebiete, die einst trocken waren, jetzt überflutet sind.«
» Kann dieser Kloaker uns vielleicht den Weg zum Palast zeigen?«, erkundigte sich Garret.
» Das glaube ich nicht. Es ist schwer zu erklären, wie es da unten aussieht.« Elija dachte nach. » Verstehst du, jeder Tag in den Hallen ist ein Kampf ums Überleben. Alle blicken auf den Boden, suchen nach Schätzen, wie sie es nennen, oder aber sie
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