Der Moloch: Roman (German Edition)
verließ, um seinem ruhmreichen militärischen Ehrgeiz zu frönen. Diese alten Geister der Vergangenheit klammerten sich mit klebrigen Fingern an ihn und ließen ihn nicht gehen, sosehr er sie auch um Vergebung bat.
Sein alter Körper schmerzte überall. Seit diesem Überfall im Haus des Glases, den Stichen und dem Feuer hatte er seine alte Kraft nie ganz wiedererlangt. Der lange Gang durch die Tunnel bis zu dieser Zelle war die reinste Qual gewesen. Als er sich gegen seine Gefangennahme wehrte, hatte er sich zwei Finger seiner linken Hand gebrochen, und er besaß weder den Mut noch den Willen, sie zu richten und zusammenzubinden. Sein Verstand wirkte wie betäubt, gefangen in der Trauer um die Vergangenheit und der Angst vor der Zukunft. Er befand sich allein in einer großen Zelle, in der auch ein Dutzend oder noch mehr Männer Platz gefunden hätten. Der schleimige Steinboden fiel leicht ab, und die untere Hälfte stand unter Wasser. Er kauerte sich in der trockensten Ecke zusammen, weit weg vom Wasser, umklammerte seine gebrochene Hand und versuchte das leise Klicken der Rattenkrallen in der Dunkelheit zu ignorieren.
Sein Nichtwissen quälte ihn. Er wusste nicht, warum er im Gefängnis war. Die Götter allein wussten, dass es viele mögliche Gründe gab. War Fell Aron Lees Verschwörung sowie Bartellus’ Rolle darin aufgedeckt worden? Hatte jemand seine tatsächliche Identität herausgefunden? Oder beides? Oder hatte man ihn einfach nur in den Kerker gesteckt, weil er Emlys wahres Alter verschwiegen hatte? Als er versucht hatte, mit seinen stummen Wachen zu reden, auf diesem quälenden Marsch zu der Zelle, sie fragte, warum er verhaftet worden war, ihnen sein ganzes Vermögen bot, wenn er nur die Gelegenheit bekam, mit einem Advokaten zu sprechen, hatten sie ihn zuerst nur ignoriert und schließlich sogar ungeduldig zu Boden gestoßen.
Das Allerschlimmste jedoch war, dass er nicht wusste, was mit Emly geschehen war. Ihre beste Hoffnung bestand darin, dass man sie als Deserteurin behandelte und in ein Ausbildungslager steckte, bevor man sie in den Krieg schickte. Die Vorstellung, dass die sanfte, empfindsame Emly gezwungen wurde, eine Rüstung anzulegen, dass man ihr ein Schwert in die Hand drückte und sie losschickte, um feindliche Soldaten zu töten, war die reinste Qual für ihn. Dennoch war es das Beste, worauf sie hoffen durfte. Im schlimmsten Fall hatten sie ihre Rolle in dieser Verschwörung gegen den Kaiser erraten oder entdeckt, dass sie die Tochter von General Shuskara war. Wie ihre Zukunft in diesem Fall aussehen mochte, wagte er sich nicht auszumalen. Er redete sich ein und wiederholte diese tröstende Geschichte immer und immer wieder, dass Broglanh von ihrer Gefangennahme erfahren und sie retten würde, wie er sie beide schon einmal gerettet hatte. Er war sehr erfindungsreich und mutig, und er verfügte über ein Netzwerk von Freunden. Aber Bartellus hatte Evan Broglanh etliche Tage vor diesem Überfall im Morgengrauen nicht gesehen. Er wusste nicht einmal, ob der Mann sich überhaupt noch in der Cité befand.
Bartellus überlegte, ob man ihn hierhergebracht hatte, damit er starb, ohne Nahrung und Wasser, um einen schrecklichen, aber vergleichsweise kurzen Tod zu erleiden. Ein verräterischer Teil seines Verstandes hoffte darauf. Er konnte eine erneute Folter nicht ertragen. Aber er wusste, dass dem nicht so war. Seine Häscher hätten sich schwerlich die Mühe gemacht, ihn hierherzuschaffen, in diese Verliese, wenn sie ihn genauso gut zu Hause hätten exekutieren können. Er war zu irgendeinem düsteren Zweck hierhergebracht worden.
Er verwünschte sich für seinen Stolz und seine Eitelkeit. An beides hatte Fell Aron Lee erfolgreich appelliert, ohne dass er sich allzu viel Mühe hätte geben müssen. Man hatte ihm gesagt, nur er könne die Cité retten, und in seiner Senilität hatte er sich entschieden, das zu glauben. Er hatte den Schwur vergessen, den er einst tief unten in den Hallen geleistet hatte, das Gelübde, Emly zu beschützen und dies als seine erste und wichtigste Aufgabe zu betrachten. Er hatte es aufgegeben, als man ihm die Chance bot, erneut Shuskara zu werden, der siegreiche General an der Spitze seiner ihn bewundernden Truppen.
Erneut spielte ihm seine erbarmungslose Erinnerung wie in der Schau eines billigen Pantomimen vor, wie man seine Tochter weggeschleppt hatte. Sie hatte nur ihr Nachthemd am Leib, man hatte ihr die Hände gebunden und sie wie eine Schweinehälfte auf
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