Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Moloch: Roman (German Edition)

Der Moloch: Roman (German Edition)

Titel: Der Moloch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gemmell
Vom Netzwerk:
Sie bauten Tempel für ihre eigenen Götter. Sie bauten sogar Tempel für die alten Götter der Stadt. Es war ein ehrfürchtiges Volk, und unter ihrer Herrschaft erlebte die Stadt die längste Friedenszeit ihrer Geschichte. Es wurden Bibliotheken gebaut, Theater, Krankenhäuser und Schulen. Mitten in der Stadt gab es grüne Parks mit Springbrunnen und Rasenflächen. Dann jedoch drang die Kunde von fernen Kriegen in die Stadt, und die Menschen verließen sie allmählich. Zuerst marschierten ihre Soldaten davon, zusammen mit ihrem Gefolge, und dann ihre Familien. Die Nachrichten aus der Ferne wurden immer ernster, und als Nächstes gingen die Politiker und Verwaltungsbeamten, denen bald die Händler und Kaufleute folgten. Nur die Armen und Alten wurden zurückgelassen. Sie blieben – letztlich hatten sie keine Wahl. Sie verloren jeden Kontakt zum Rest der Welt, und ohne einen florierenden Handel blieb ihnen kaum genug, um zu überleben. Viele Generationen lang lebten sie im Elend. Parks und Wiesen verwilderten. Die Gebäude aus Stein verfielen, und die Menschen lebten von den Ratten, mit denen sie ihre armseligen Behausungen teilten. Aber das menschliche Herz ist stark, und die Bevölkerung wuchs und allmählich erwachte die Stadt wieder zum Leben. Männer nahmen die Werkzeuge zur Hand, rodeten die Wildnis, bearbeiteten die dünne Erde, säten Samen hinein und beteten um Regen. Kleine Schafe und Ziegenherden sowie Schweine gediehen auf dem grünen Gras am Rand der Stadt, und eine primitive Tauschgesellschaft entstand.
    Und am Ende begannen auch diese Menschen wieder zu bauen. Und auf den uralten Schichten von Gebäuden, die von dem Erdbeben der Erde gleichgemacht, von Invasoren geschleift worden und durch Zeit und Vernachlässigung verfallen waren, ertränkt im Blut eines Jahrtausends, wuchs allmählich die gegenwärtige Cité.
    Sie breitete sich so weit aus wie nie zuvor, verleibte sich die schäbigen Siedlungen an ihren Grenzen ein, verschlang Flüsse und Hügel und überzog sie erst mit Holz, dann mit Stein. Diesmal gab es keine goldenen Türme, keine prachtvollen Schnitzereien aus Holz, sondern nur Stein auf Stein, ein unerbittlicher Moloch, der sich nach Westen, Norden, Süden und Osten ausdehnte. Fabriken und Hochöfen spien ihren Rauch in die Luft, und alle Tiere flüchteten. Bis auf die Ratten natürlich. Rund um die Stadt wurden gewaltige Mauern errichtet. Und kaum waren die Arbeiter fertig damit und die glänzenden Bronzetore geschlossen, wurden jenseits dieser Mauern neue, noch höhere Wälle errichtet. Die vielen Tore in diesen Kreisen aus Stein öffneten sich gelegentlich, um Armeen von Soldaten auszuschicken, um Frieden zu stiften oder die umliegenden Ländereien zu brandschatzen.
    Sieben große Familien erhoben sich, um die Stadt zu beherrschen, sieben Häuser namens Guillaume, Gaeta, Sarkoy …
    » Die Geschichte kenne ich!«, unterbrach Elija Rubin erneut. » Es ist die Geschichte des Unsterblichen und seiner Brüder.«
    » Dann«, antwortete Rubin, verschränkte die Arme und lehnte sich zurück, » kann ich dir nichts mehr erzählen. Du kennst alles, was ich selbst über die Geschichte der Cité weiß.«
    Einen Moment lang herrschte Schweigen, und Emly stieß Elija sanft in die Rippen. » Erzähl es trotzdem«, erwiderte der Junge verlegen. » Es könnte ja eine andere Geschichte sein.«
    » Bist du sicher?«
    » Ja bitte.«
    » Also, ihre Namen waren Guillaume, Gaeta, Sarkoy, Vincerus …«
    » Broglanh, Khan und Kerr«, beendete Elija triumphierend den Satz.
    » Und«, sagte Rubin und holte tief Luft, » sie sind vor Tausenden von Jahren in die Stadt gekommen. Niemand weiß, woher sie kamen …«
    » Aber sie sind sehr wichtig.«
    » Sie waren sehr wichtig, Elija, aber einige Familien wurden dezimiert oder sind ausgestorben oder aber haben sich selbst vor ihren mächtigeren Brüdern verborgen.«
    » Waren Sie denn Brüder?«
    » Vielleicht. Aber sie leben schon so lange und hatten so viele Nachkommen, dass angeblich selbst die Götter sich nicht mehr erinnern konnten, ob sie einmal Brüder waren oder nicht.«
    » Sind es wirklich Götter, Rubin?«
    Rubin schüttelte den Kopf. » Ich weiß es nicht. All das hat mein Vater mir erzählt, der sie alle kannte. Und ich habe ihn dasselbe gefragt. Er wollte von mir wissen, was meiner Meinung nach ein Gott wäre. Ich sagte, ein Gott wäre etwas Besonderes, jemand, der nicht den Naturgesetzen unterliegt. Er antwortete ja, in diesem Sinne wären es Götter.

Weitere Kostenlose Bücher