Der Moloch: Roman (German Edition)
wurden die Soldaten alle paar Wochen ausgetauscht. Manchmal kamen sie direkt vom Schlachtfeld in den Palast. Nur die Wächter in den Verliesen blieben immer dieselben, weil man für diese Pflicht die komplizierten Wege des Tunnelsystems kennen musste. Und das lernte man nicht so schnell.
Dol respektierte Dashoul, einen dürren, lakonischen Nordländer. Er war kahlköpfig und hatte eine Adlernase, was ihn wie einen Geier aussehen ließ. Er wusste, dass der Mann ihm die Meriten für diese wichtige Information geben würde. Aber das war nicht dasselbe, als wenn er die Informationen persönlich überbrachte. Also versuchte er, eine Audienz bei den Vinceri zu bekommen, und bekam am frühen Morgen einen kurzfristigen Termin bei Rafael, bevor der Lord seine Privatgemächer verließ. Rafael und seine Frau Fiorentina wohnten im Nordflügel, in Wohnungen hoch oben, die aufs Meer hinausblickten.
Dol Salida trat in einen hellen, warmen Empfangssalon, der nach Winterrosen duftete. Rafael sprach gerade mit seiner Frau, und Fiorentina winkte Dol zu, bevor sie den Raum durch eine Seitentür verließ.
» Ich vergesse immer wieder«, sagte Rafael und schob sein schwarzes Haar zurück, das noch feucht vom Bad war, » dass du meine Frau kennst.«
Er sagte das vollkommen sachlich, aber Dol fühlte sich trotzdem genötigt, sich zu erklären. » Wir sind Freunde seit unserer Kindheit. Natürlich war ich viel älter. Und ich kannte Lady Petalina besser.« Er wusste, dass er plapperte.
» Welche Informationen hast du für mich, Dol Salida?« Rafael zog eine schwarze Jacke über und bürstete sich die Schultern ab. Er machte unmissverständlich den Eindruck, dass er irgendwohin wollte und nur wenig Zeit hatte. Das genügte auch, dachte Dol. Ich brauche nur einen Moment.
» Der Feind hat einen Weg durch die Abwasserkanäle in den Fried entdeckt. Er wird heute von dort angreifen.«
Rafael hörte auf, sein Jackett abzubürsten. » Woher weißt du das?«
» Ich habe verlässliche Quellen. Quellen, denen ich trauen kann.«
Rafael starrte ihn an, und Dol fühlte die Macht dieses Blicks wie eine Faust in seinem Verstand. Der Drang überwältigte ihn förmlich, dem Lord alles über seine Geheimdienstarbeit zu erzählen, ihm den Namen seiner Auftraggeberin zu verraten und ihm von seinem Verdacht den alten Bartellus betreffend zu berichten.
» Sully!«, platzte er heraus. » Sein Name ist Sully.« Die Lüge schien den Druck in seinem Kopf ein wenig zu lindern. » Er ist ein alter Soldat, der viele Quellen hat. Ich frage nicht nach ihren Namen. Wenn zu viele Namen genannt werden, dann trocknet der Informationsfluss aus.«
» Du vertraust diesem Mann?«
» Er hat mir noch nie Informationen geliefert, die nicht verlässlich waren.«
» Du glaubst also, es gibt einen Angriff auf den Palast?«
» Nein. Ich weiß, dass es einen Angriff geben wird.«
» Durch die Kanalisation?«
Dol nickte.
» Dann wird es euer Glückstag sein. Denn sowohl du als auch dieser Sully werdet reiche Männer werden.«
Dol lächelte schwach. An Reichtum hatte er kein Interesse. Er hatte so viel, wie er brauchte, um sein unauffälliges Haus zu unterhalten und seiner Familie durch alle Schwierigkeiten zu helfen, in die sie möglicherweise geriet. Sein einziges Interesse galt dem Wohl der Cité. Es störte Dol Salida, dass der Mann vor ihm glaubte, Gier hätte ihn motiviert oder zumindest die Aussicht auf eine Belohnung, weil er seine Pflicht tat.
Vielleicht vergaß er deshalb, ein kleines, aber wichtiges Stück Information weiterzugeben. In den letzten Tagen war er zu der Überzeugung gelangt, dass der Held der Armeen, Shuskara, der vor acht Jahren so geheimnisvoll aus den Kerkern entkommen war, jetzt gerade wieder in ebendiesen Verliesen saß. Und er glaubte ebenfalls, dass der General irgendwie in diese geplante Invasion verwickelt war, ja, dass er vielleicht sogar die treibende Kraft dahinter war.
Rafael Vincerus seinerseits neigte nicht dazu, Informationen weiterzugeben. Denn in seinem sehr langen Leben hatte er gelernt, dass Informationen kostbarer waren als Gold und Diamanten. Also sagte er Dol Salida nicht – warum hätte er es auch tun sollen?, – dass der Kaiser einer Audienz mit einem Mann zugestimmt hatte, der behauptete, Fell Aron Lee zu sein, derselbe Mann, der unter anderem einst die rechte Hand ebendieses Generals gewesen war.
Niemand wurde ein Meister des Urquat-Spiels, ohne einen starken Drang zum Wettbewerb zu besitzen. Dol Salida hatte
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