Der Moloch: Roman (German Edition)
bedarf es großer Macht, und Araeons Kräfte schwinden seit langer Zeit.«
» Ihr alle könnt das? Aber wer seid ihr denn dann?«
» Man nennt uns Serafim. Wir sind vor vielen Jahrhunderten in die Cité gekommen. Araeon, Archange und ich. Und noch viele mehr von uns.«
Fell dachte darüber nach. » Indaro sagte, sie hätte mit eigenen Augen gesehen, wie die Kutsche des Kaisers von einer der Explosionen zerstört wurde, die die Blauen mit ihrem Zauber ausgelöst haben«, sagte er dann. » Trotzdem lebt er. Kann man ihn töten?«
» Wir sind nicht unsterblich. Auch wenn wir so genannt werden. In uns fließt Blut, so wie in euch. Und wir können sterben, so wie ihr.«
» Das heißt …«
» Der Mann in der Kutsche und der, den du in der Halle der Kaiser gesehen hast, waren beides Abbilder. Reale und körperliche Abbilder, die leben und atmen, die aber sterben würden, wenn Araeons Leben endet.«
Fell hatte eine Vision des Kaisers, der verborgen in seiner dunklen Höhle Kreaturen gebar, wie er selbst eine war. Es schüttelte ihn, und die Galle stieg ihm die Kehle hoch. Er erbrach sich auf den Boden, dann wischte er sich den Mund ab. Danach fühlte er sich ruhiger. Es erleichterte ihn irgendwie, dass nach all den Kriegsjahren die Dämme, die seine Gefühle zurückgehalten hatten, endlich gebrochen waren. So manches Mal hatte er sich im Laufe der Jahre gewünscht, die Kraft zurückzugewinnen, die darin liegt, etwas abscheulich zu finden.
Marcellus beobachtete ihn. » Es stößt dich ab«, stellte er fest.
» Natürlich. Und was wird jetzt geschehen? Mit der Cité?«, fragte Fell.
» Eure kleine Armee ist in der Halle der Kaiser in die Falle gegangen. Dort werden sie vernichtet werden. Der Rote Palast wird auf lange Zeit unbewohnbar sein. Deshalb werden wir uns auf den Schild zurückziehen, in unseren Palast, das Serafium, und dort die nächsten Schritte von Hayden Weber abwarten. Wir haben viel Zeit. Wir können ihn aussitzen. Oder wir verbünden uns mit den übrigen Serafim und werfen ihn mit Gewalt heraus.«
» Mit den übrigen Serafim?«
» Wir Vinceri haben das Joch der Herrschaft zu lange getragen. Es ist an der Zeit, dass andere unseren Platz einnehmen.«
» Andere, die so sind wie ihr?«, erkundigte sich Fell voller Abscheu.
Marcellus lachte auf. » Brich nicht den Stab über uns, Fell. Du bist nicht wie wir, weil du nicht aus der Cité stammst, aber so viel anders als deine Freunde und Kameraden sind wir gar nicht. Wir haben uns schon seit vielen Jahrhunderten mit ihnen gepaart. In den Adern der meisten Einwohner der Cité fließt ein großer Teil unserer Lebenskraft. In Wahrheit sind wir ihnen viel ähnlicher, als ihr es seid. Weißt du, warum uns die Blauen so hassen?«
Fell grinste bitter. » Vielleicht, weil wir ihre Städte zerstört, ihre Leute umgebracht und ihr Land verwüstet haben?«
» Weil wir nicht so sind wie sie. Die Leute fürchten alles, was anders ist. Wenn du den Arm eines Blauen verletzt, dann hört er auf zu kämpfen, und wenn er nicht behandelt wird, muss er bald sterben. Es gehört mehr dazu, einen Krieger der Cité zu töten. In deiner Soldatenzeit muss dir aufgefallen sein, wie leicht die Blauen sterben. Sie sind empfindliche Geschöpfe, besonders unter der Folter.«
» Ich bin eines dieser empfindlichen Geschöpfe.«
» Und deshalb wirst du, falls du den heutigen Tag überlebst, ungefähr achtzig werden. Die durchschnittlichen Einwohner der Cité werden viel älter.«
» Wie alt?«
Marcellus machte eine Pause, so als wollte er seine Gedanken sammeln. » Dein Freund Shuskara. Wie alt ist er?«
Ist, dachte Fell. Dann ist es also wahr. Shuskara lebt. Er spürte, wie neue Hoffnung in seine Brust strömte. Er sagte: » Ich weiß nicht. Siebzig?«
» Er ist über zweihundert Jahre alt«, klärte ihn Marcellus auf.
Fell schüttelte den Kopf, aber er war nicht mehr so ungläubig wie früher.
» Und Indaro Kerr Guillaume?«, fragte Marcellus.
» Was ist mit ihr?«, erwiderte Fell heftig. » Willst du mir etwa erzählen, sie sei dreihundert?«
Marcellus lächelte. » Nein. Sie ist so alt, wie sie aussieht, eine Frau um die dreißig. Ich habe sie kennengelernt, als sie noch ein Kind war, deshalb weiß ich es. Hast du dich nie gefragt, wie sie all diese Jahre schrecklicher Kämpfe überstehen konnte, während alle anderen um sie herum gestorben sind? Sie ist von Wunden genesen, die selbst starke Männer getötet hätten.«
» Ich habe noch länger überlebt«, entgegnete
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