Der Moloch: Roman (German Edition)
Fell. » Und ich stamme, wie du schon sagtest, nicht aus der Cité.«
» Ja, aber du bist ein Kommandeur.«
» Ich ziehe an der Spitze meiner Truppen in den Kampf.« Er hatte das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen.
» Ich zweifle nicht an deinem Mut, Fell. Aber du bist kein einfacher Soldat. Du bist eine Legende unter den Soldaten. Sie stehen hinter dir, sie lieben dich. Und sie beschützen dich.«
Fell erinnerte sich daran, wie ein Soldat mit einem Brustschild zu ihm gelaufen kam. Und ihm ein anderer in der Hitze des Gefechts ein Schwert zugeworfen hatte. Er musste sich eingestehen, dass der Mann Recht hatte.
» Was willst du damit sagen? Dass Indaro eine von euch ist. Eine Serafim?«
» Nein. Ich will damit sagen, dass sie, wie die meisten Bewohner der Cité, vom Blut der Familien profitiert, das in ihren Adern fließt. Ihre Mutter stammte aus der Familie Kerr, aus der auch Flavius Randell Kerr hervorging, euer verstorbener General, dem niemand eine Träne nachgeweint hat. Ihr Vater Reeve, ein Guillaume, ist viel älter als Shuskara. Falls Indaro den heutigen Tag überlebt, könnte sie ein sehr langes Leben führen. Es ist schwer, sie zu töten.«
» Sie ist eine Frau, wie es nicht viele gibt«, bestätigte Fell.
» Ah, wie ich sehe, gefällt sie dir. Ich würde sogar behaupten, sie ist einzigartig.«
» Sie hat einen Bruder.«
» Sie hatte einen Bruder. Rubin ist tot.«
Fell hatte das bereits vermutet, aber Marcellus’ Worte gaben ihm Gewissheit.
» Weiß du über alles Bescheid, was in der Cité vor sich geht?«, fragte er.
» Bei weitem nicht. Zum Beispiel weiß ich nicht, welche Bedeutung die Brandzeichen dieser Männer haben. Ich hatte gehofft, du könntest mich aufklären.«
Fell fragte sich, ob es noch einen Grund gab, es nicht zu tun. Jetzt, wo alles zu Ende geht.
» Ranul, dieser Bote, war mit einem s-förmigen Zeichen gebrandmarkt«, sagte Marcellus. » Genau wie dein Freund Riis. Und ich vermute, du hattest auch mal eines.«
» Riis ist tot?«
» Ja.«
» Als Kinder waren wir zusammen Geiseln«, erklärte Fell. » Riis, Ranul, noch ein paar andere und ich. Der Kaiser hatte befohlen, einen unserer Freunde hinzurichten. Er sollte öffentlich bei lebendigem Leib verbrannt werden. Sein Name war Sami.«
Marcellus schaute ihn verwundert an. » Das eigenartige Verhalten von euch Primitiven überrascht mich immer wieder aufs Neue. Du und Maron, über all die Jahre in Rachsucht vereint, zettelt eine Verschwörung an, um die großartige Cité zu zerstören, und das alles nur wegen eines persönlichen Grolls?«
» Ich war nur ein Kind«, erklärte Fell. Er dachte kurz nach. » Er hat über den Todeskampf eines Jungen gelacht«, fuhr er dann fort. » So eine Kreatur darf nicht weiterleben, sei sie nun Kaiser oder Bettler.«
» Haben die übrigen Zuschauer auch gelacht?«
» Ja. Für sie war es Unterhaltung. Genau dafür waren sie gekommen.« Er machte eine kleine Pause. » Erzähl mir von Ranul«, forderte er den anderen dann auf. » Wie ist er gestorben?«
» Er hat versucht, den Kaiser umzubringen. Er kam sehr dicht an ihn heran. Das war vor acht Jahren. Er gab sich als Panjalibote aus. Das ist ein Stamm, der in den dürren Steppen am nordöstlichen Rand von Odrysia lebt. Sie halten an ihren alten Traditionen fest, wozu auch ein starres Kastensystem gehört. Ihre Boten sind heilige Männer, die von Geburt an dazu erzogen werden, in Zeiten größter Not auf eine heilige Mission zu gehen – wenn die Existenz des Stammes bedroht ist. Sie können weder lesen noch schreiben. Und auch nicht sprechen, denn ihnen werden die Zungen herausgeschnitten, sobald sie die Pubertät erreichen. Nach alter Tradition wird dem Boten für die Mission der Kopf geschoren und eine Nachricht auf die Kopfhaut tätowiert. Dann lässt man sein Haar nachwachsen, bevor man den Boten zu einem fremden Herrscherhof entsendet. Der andere Herrscher lässt dann den Kopf des Boten erneut scheren, um die Botschaft freizulegen.«
» Ranul hat sich freiwillig die Zunge herausschneiden lassen?« Fell dachte an den dicken Jungen, den er gekannt hatte, und daran, wie tief sein Hass und wie groß sein Wille gewesen sein musste, um einen solchen Weg zu beschreiten.
» Es war eben dieser authentische Zug, mit dem er es bis vor den Kaiser geschafft hat. Er hätte fast Erfolg gehabt.«
» Wie ist er gestorben?«, wollte Fell wissen.
» Ich weiß es nicht. Ich war nicht dabei. Man sagt, er war schlau und kämpfte tapfer. Aber er
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