Der Moloch: Roman (German Edition)
dem oberen Treppenabsatz aus. Die Nachtfalken griffen die Eintausend mit neu erwachter Kampfeswut an. Grimmige Krieger waren sie und gerade erst von drei Jahren im Feld zurückgekehrt, so hatte man es ihm berichtet. Bartellus erinnerte sich, wie er vor Jahrzehnten mit der Ersten Adamantine geritten war …
» General«, drängte Broglanh, » lass mich mitmachen.« Er fragte nicht zum ersten Mal. Er platzte vor Energie, und Bartellus wusste, dass es einem Kämpfer wie ihm körperliche Schmerzen bereiten musste, selbst nicht eingreifen zu dürfen, während nur ein paar Schritte entfernt Männer fochten und starben.
» Ich brauche dich hier bei mir«, knurrte er. Er richtete seinen scharfen Blick auf den Krieger. » Das ist ein Befehl.«
Es war komisch. Evan Broglanh wusste besser als jeder andere, dass er nur ein müder alter Mann war, dessen zerlumpte Gefängniskleidung immer noch unter der glänzenden Rüstung hervorlugte. Broglanh hatte die vergangenen Wochen damit verbracht, ihn zu beschützen, ihn von einem unsicheren Versteck ins nächste zu schleppen, ihn aufzuheitern, wenn er verzweifelt war oder ihn manchmal sogar zum Essen zu zwingen. Er war ihm Leibwächter, Krankenschwester und Sohn gleichzeitig gewesen. Und jetzt war er der pflichtbewusste Leutnant, aber beide wussten, dass er Shuskaras zerbrechliche Autorität nicht dadurch gefährden durfte, dass er offen seinen Befehl missachtete. Also harrte Broglanh an seiner Seite aus, auch wenn er insgeheim vor Wut kochte.
Bartellus beobachtete den kristallenen Türbogen ganz unten am Boden der Halle. Fell war nun schon seit Stunden darin verschwunden. Es gab keinen Grund anzunehmen, dass er noch am Leben war. Aber es gab auch keinen Anlass, das Gegenteil zu glauben. Die Eintausend abzulenken, war das Einzige, was der General jetzt noch tun konnte. Er ging die Zahlen im Kopf immer wieder durch. Dank Saroyans letzter Tat hielten sich drei Zenturien der Leibwächter des Kaisers weniger in der Stadt auf. Indaro hatte geschätzt, dass Gil Rayado über die Hälfte einer Zenturie ausgelöscht hatte. In dieser Halle mussten über zweihundert Tote liegen. Einige waren durch die Flut umgekommen und andere in den Trümmern des zusammenbrechenden Palasts. Ganz gleich wie man es betrachtete, den Eintausend gingen allmählich die Kämpfer aus. Bislang war noch keiner der einfachen Soldaten abkommandiert worden, um die Reihen der Nachtfalken aufzustocken. Warum eigentlich nicht? Hatten der Kaiser und die Brüder Vincerus kein Vertrauen in sie? Bartellus konnte sich keinen Reim darauf machen.
Eine Welle der Erschöpfung ging über ihn hinweg. Er hätte sich nur zu gern kurz hingesetzt. Aber er zwang seine Knie einzurasten, drückte den Rücken durch und machte weiterhin ein grimmiges Gesicht, während tapfere Männer starben. Die Nachtfalken hatten sich wieder den Weg die Treppe hinunter bis zu dem Punkt freigekämpft, an dem sich Broglanh und Indaro befunden hatten, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Das hatte etwa vierzig Mann das Leben gekostet. Plötzlich wurde in Bartellus das Bedürfnis übermächtig, einfach zu ihnen zu stoßen und sich mit dem Schwert in die Schlacht zu werfen. Er hatte getan, was in seiner Macht stand. Es wäre ein ehrenhaftes Ende. Er griff sein Schwert und machte den Mund auf, um Broglanh seine Entscheidung mitzuteilen.
Da ertönte ein Schrei von den Türen hinter ihm, wo verwundete Kämpfer postiert waren, deren Aufgabe es war, den Korridor zu überwachen.
» Sie kommen, General.«
Er wirbelte herum, und sein altes Blut kam in Wallung, als frische Kämpfer auftauchten.
Broglanh stürzte sich freudig in die Schlacht. Bartellus brüllte einen Befehl, und die Hälfte der Nachtfalken auf der Treppe machte kehrt und lief nach oben. Als er sich ins Kampfgetümmel stürzte, sah Bartellus, dass sich sogar Indaro unter Schmerzen vom Boden erhoben hatte.
Einer der Neuankömmlinge durchbrach den ersten Verteidigungsring und stürzte sich auf den General. Bartellus hob sein Schwert und parierte den Schlag. Er spürte ihn im ganzen Körper und taumelte unter der Macht des Aufpralls zurück. Als er auf ein Knie sank, um sich abzustützen, hob der Angreifer das Schwert zum Todesstoß. Bartellus rammte sein Schwert mit einem gequälten Grunzen unter die Brustplatte des Mannes. Der Soldat fiel, Bartellus kam wieder auf die Füße und zertrümmerte dem Mann mit einem Hieb die Kehle.
Er schaute sich um. Ihre Lage war hoffnungslos. Ermutigt durch die
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