Der Moloch: Roman (German Edition)
erkundigte sich der Kaiser beiläufig, als führe er ein Selbstgespräch. » Ein Kriegsheld prahlt nicht mit seiner Feigheit. Ein Blinder gibt nicht mit seinem scharfen Augenlicht an. Und doch scheint diese Welt für Verräter auf dem Kopf zu stehen.« Er lächelte, sehr erfreut über seine Worte, wie er es oft war. Dann winkte er ihn beiläufig mit der Hand weg.
In diesen endlosen Tagen in seiner Zelle wurde Shuskara oft von einem Dämonen der Finsternis heimgesucht. Dieser Dämon erklärte ihm, was er sagen sollte, wenn er erneut vor den Kaiser geführt würde. Er kannte die Worte, die diese schreckliche Folter beenden würden, Worte, die den Kaiser dazu bringen würden, ihm zu verraten, welchen Verrat er denn begangen hatte, Worte, die das Missverständnis aufklären würden, das zu seinem entsetzlichen Schicksal geführt hatte. In der blutigen Zelle sah er, wie der Kaiser sich bei ihm entschuldigte, ihm mit bitteren Tränen des Bedauerns in den Augen um den Hals fiel. Der Dämon zeigte es ihm, und eine Weile gestattete er sich, in dieser Fantasie zu träumen.
Und der Dämon zeigte ihm noch eine andere Geschichte, eine, an die er sich klammerte, von der er abhängig war wie von den wenigen Tropfen schmutzigen Wassers, die man ihm jeden Tag zugestand. Es ging darin um Astinor, der immer noch frei war, zu seinem Haus ritt, Marta und die Jungen entführte und sie an einen sicheren Ort brachte, wo der Kaiser sie niemals finden würde. Shuskara glaubte an diese Geschichte und erlaubte sich nicht einmal in seinen schwächsten Momenten, an ein anderes Schicksal für seine Familie zu denken.
Eines Nachts hörte er, wie sich die Tür seiner Zelle leise öffnete. Er erhob sich, voller Schmerzen, während die Panik ihn durchströmte und das Entsetzen sich mit Leichtigkeit von den schwachen Fesseln löste, in die er es gebunden hatte. Eine Gestalt mit einer Kapuze beugte sich über ihn, und er zuckte zusammen. Dann griff eine weiche Hand nach seiner und zog. Er stand ungeschickt auf, und der Schmerz seiner verletzten Gliedmaßen entriss ihm ein Stöhnen. Die Gestalt zog ihn zur Zellentür, und er folgte ihr stolpernd. Fast lautlos wurde er in der nahezu pechschwarzen Dunkelheit durch leere Korridore geführt. Es kam ihm vor, als würden sie endlose Wegstunden gehen. Shuskara versuchte, mit der Gestalt zu sprechen, aber er bekam keine Antwort.
In seiner Brust kämpften viele Gefühle um die Vorherrschaft. Die Hoffnung versuchte sich durchzusetzen, aber er unterdrückte sie rücksichtslos. Er sagte sich, dies sei nur eine amüsante List des Kaisers, der ihn in einem Kreis um die Verliese von Gath führte, damit er auf Erlösung hoffte, nur um dann wieder in seine Zelle und zu seinen Folterknechten zurückgebracht zu werden. Nach einer Weile jedoch begriff er, dass er nicht im Kreis ging. Das gewaltige Labyrinth aus Tunneln, Kammern und Zellen, die Verliese des Kaisers, waren ihm wohl vertraut. Sie hatten sie längst hinter sich gelassen und gingen immer noch in einer mehr oder weniger geraden Linie nach Osten, das sagten ihm seine soldatischen Sinne. Aber wohin gingen sie? Er hatte keine Ahnung, doch nun erlaubte er der Hoffnung, allmählich zu wachsen.
Schließlich erreichten sie eine alte Tür, die letzte von vielen. Sein stummer Gefährte schloss sie mit einem Schlüssel auf, und als sie sich knarrend öffnete, schob er Shuskara hindurch. Die Tür schloss sich mit einem Knall hinter ihm, und er stand in einer nebligen Gasse, bei Tagesanbruch, umringt von Haufen von verfaulendem Gemüse, den stinkenden Überresten eines Lebensmittelmarktes. Die Tür, durch die er gekommen war, war klein und verrostet, lag halb versteckt in einer dunklen Ecke. Sie sah aus, als hätte sie sich in hundert Jahren nicht einmal geöffnet.
War er frei? Warteten hinter der Ecke Soldaten, um ihn lachend wieder in seine Zelle zu bringen? Shuskara ging zum Ende der Gasse und trat auf eine Straße hinaus, die er kannte. Sie lag in den östlichen Vierteln, die man das Arsenal nannte. Er sah an sich herab. Er war schmutzig, in Lumpen gekleidet, aber er war ein freier Mann.
Erleichterung durchströmte ihn, und sein erster Gedanke galt seiner Familie. Er musste sie suchen.
Bartellus’ Herz schmerzte immer noch von dem unterirdischen Kampf. Aber er hatte drei Männer getötet. Zum ersten Mal seit jenem schicksalhaften sonnigen Tag hatte er sich einem Feind gestellt und ihn besiegt. Er sah klarer, sein Verstand war schärfer. Er hatte das Kind
Weitere Kostenlose Bücher