Der Moloch: Roman (German Edition)
zurückgezogen. Da kein Mond am Himmel steht, ist es sehr unwahrscheinlich, dass sie heute Nacht angreifen. Also, wir haben nur sehr wenig Wasser, deshalb will ich, dass jeder seine Wasserschläuche abgibt. Garvy wird morgen früh Rationen verteilen, zuerst an die … Verwundeten, dann an den Rest.«
Die Pause war kaum wahrnehmbar, aber Indaro hatte es mitbekommen. Sie wusste, was er damit sagen wollte, genauso wie alle anderen. Nur die Verwundeten, von denen man erwartete, dass sie überleben würden, würden Wasser bekommen. Diejenigen, die bereits dem Tode nah waren, würden keinen Trost bekommen, nicht einmal einen kleinen Tropfen Wasser, weil sie im Sterben lagen. Das war hart, aber alle verstanden es.
» Die Blauen sind nicht besser dran als wir«, fuhr Fell fort. » Sie haben genauso wenig Wasser und Nahrung. Viele von ihnen sind tot und verletzt. Und sie verbrauchen mehr Energie, weil sie angreifen, als wir, die wir verteidigen. Also liegt unsere Zukunft in der Hand der Götter. Die Seite, die zuerst Verstärkung bekommt, wird gewinnen. Wir sind nur wenige Wegstunden von der Rettung entfernt, und ich habe einen Boten ausgeschickt. Wir könnten noch heute Verstärkung bekommen. Falls nicht, halten wir durch.«
Er verstummte, als wäre er fertig, sprach dann jedoch plötzlich weiter. » Wir alle hier sind Veteranen. Wir alle haben so etwas schon mal durchgemacht und überlebt.« Indaro sah, wie sich die Männer und Frauen ansahen und einander zustimmend zunickten. » Morgen werden wir wieder zu den Waffen greifen müssen. Wir werden den Kampf aufnehmen, wie wir es immer getan haben. Es wird Blut fließen, und Leute werden sterben. Aber das wird uns nicht aufhalten. Es hat uns noch nie aufgehalten, und es wird uns auch morgen nicht aufhalten. Also ruht euch jetzt aus und denkt daran, dass wir morgen wieder antreten werden, für die Cité und für unsere Kameraden. Wir sind die Wildkatzen, und wir geben niemals auf!«
Er wandte sich ab. Die müden Kämpfer jubelten ihm nicht zu, aber Indaro spürte förmlich die Welle aus Wärme, aus einem Gefühl der Verbundenheit, die durch das Lager lief. Männer und Frauen legten sich schlafen, während ihre Seelen von Fells Worten gezeichnet waren. Sie wussten, dass sie wahrscheinlich morgen sterben würden, aber sie hatten keine Angst. Sie sah Doon an, die ihr zunickte. Sie dachten beide dasselbe.
Garret kletterte auf den Felsen neben sie. Er legte sich auf den Rücken und blieb schwer atmend dort liegen. Dann rollte er sich wieder herum. » Wie geht es deinem Bein?«, fragte er Doon.
Die sah ihn finster an. » Willst du nichts mit den Verwundeten zu tun haben, Garret?«
» Du bist doch verletzt«, gab er zurück.
Sie zuckte mit den Schultern. » Das sind wir alle. Aber das macht mich noch lange nicht zu einer der Verwundeten.«
Er rollte sich wieder auf den Rücken und seufzte. » Glaubst du, dass sie heute Nacht angreifen?«
Indaro spürte, wie die zerbrechliche Ruhe, die Fells Worte heraufbeschworen hatte, davonwehte. » Heute Nacht. Morgen. Was macht das schon?«, fuhr sie ihn an. Wir werden sowieso keinen weiteren Angriff überstehen, dachte sie. Und nur sehr wenige von ihnen glaubten, dass Verstärkung unterwegs war.
» Fell hat Keema mit dem letzten Pferd losgeschickt. Sie wird durchkommen«, sagte Garret mit seiner unerschütterlichen guten Laune.
Aus irgendeinem Grund verärgerte es Indaro, dass er Fell Aron Lees Namen aussprach. » Bist du wirklich so ein Idiot, Garret?«, fuhr sie ihn hitzig an. » Sie kommt durch, na und? Vermutlich steht eine ganze Armee der Blauen zwischen uns und der Cité. Wenn sie durchkommt, wie du sagst, glaubst du wirklich, dass die Generäle eine ganze Abteilung von dort abziehen, nur um sie unserer kleinen Einheit zu Hilfe zu schicken? Wann hätte es so etwas jemals gegeben?« Sie starrte ihn so böse an, als wäre er dafür verantwortlich. » Fällt dir auch nur ein einziges Mal ein, wo so etwas passiert ist?«
Garret wich ihrem Blick aus und sah vom Felsen hinab zu Fell Aron Lee, der immer noch zwischen den Leuten herumging, mit seinen Kämpfern redete und Wachen am Rand des Lagers aufstellte. » Ich frage mich, wo der alte Broglanh jetzt wohl ist. Er hat wirklich Glück gehabt, dass er all das verpasst hat.«
Indaro schüttelte den Kopf. Es war sinnlos, Garret auszuschimpfen. Er war kein Narr, aber irgendetwas fehlte in seinem Charakter. Sie hatte noch nie erlebt, dass er die Beherrschung verloren hätte oder
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