Der Moloch: Roman (German Edition)
kleinen, verkorkten Flakon aus Ton zutage, der die Flut überlebt hatte.
Doon schnaubte verächtlich. » Du bist wirklich der einzige Mensch, der dieses Zeug für nützlich hält. Ich glaube, es ist das reinste Gift.«
Indaro konnte es ihr nicht verübeln. Sie hatte diese Salbe von einer alten Frau in einer südlichen Grenzstadt gekauft, in Saris, wo sie länger als ein Jahr gelagert hatten. Sie hatte ihr gesagt, es würde aus Eichenmoos und Weidenrinde hergestellt, was in den heißen, trockenen Südlanden seltene Pflanzen waren. Dann hatte sie das grüne Zeug auf viele kleinere Wunden geschmiert, und ihrer Meinung nach hatte es geholfen. Dann hatte sie es benutzt, um das Leben von Maccus Odarin zu retten, einem Kameraden und großen Kämpfer der Wildkatzen. Er hatte eine kleine Wunde am Bein davongetragen, die sich entzündet hatte. Sie hatte fast das ganze Zeug aufgebraucht, es täglich auf seine Wunde gelegt, während er immer kranker wurde und das Bein schwärzer. Am Ende mussten sie es ihm abnehmen, aber er war trotzdem gestorben. Seit dieser Zeit wollte niemand mehr etwas von dem Zeug wissen und mied es wie die Pest.
» Also gut, ich werde es nicht benutzen. Zeig mir einfach die Wunde. Denk daran, dass du tun musst, was ich dir sage.« Indaro gelang ein Lächeln.
Zögernd erlaubte Doon ihr, den Verband von der Verletzung zu wickeln. Die Wunde zog sich tief und lang über den linken Oberschenkel unmittelbar unter der Pobacke. Indaro sah die zerfetzten Muskeln, aber die Klinge hatte keine große Ader getroffen. Trotzdem hatte es fast eine Ewigkeit gedauert, bis die Blutung aufgehört hatte, und noch letzte Nacht hatte Indaro befürchtet, dass es gar nicht mehr aufhören würde. Auch jetzt quollen Blut und weiße Flüssigkeit aus der Wunde. Soweit sie in der zunehmenden Dunkelheit sehen konnte, wirkte die Wunde wenigstens einigermaßen sauber.
Doon drehte sich herum, konnte es aber nicht genau erkennen. » Und?« Ihr Blick war furchtsam. Es gab viele Arten, den Tod zu erleiden, aber keiner von ihnen wollte so sterben wie Maccus Odarin.
» Es ist gut«, erwiderte Indaro. » Aber du solltest dafür sorgen, dass Fell Aron Lee es nicht sieht. Sonst schickt er dich bestimmt morgen wieder an die Front zurück.« Sie legte sich auf den warmen Stein und stöhnte vor schmerzhafter Erleichterung, als die Muskeln in ihrer Schulter sich zu lösen begannen. » Wie viele sind übrig?« Sie wusste, dass Doon jeden Schwerthieb beobachtet und jeden gefallenen Kameraden gezählt hatte.
» Achtzehn stehen noch. Ich weiß nicht, ob irgendjemand unversehrt ist, außer dir. Und Fell.« Sie zuckte mit den Schultern. Natürlich war Fell unverletzt, meinte sie damit. Er war unverwundbar. Die Schlacht tobte schon seit mehr als hundert Tagen, und er hatte keinen Kratzer davongetragen. Er war verhext, sagten einige.
Indaro blickte von dem Felsen hinab dorthin, wo ihr Kommandeur zwischen seinen mitgenommenen Leuten umherging, und sich hinhockte, um mit jedem der Verwundeten zu sprechen. Sie wusste, dass er sie nicht wegen ihres Mutes lobte oder sie aufmunterte, damit sie den nächsten Tag kämpfen konnten. So war er nicht. Fells Krieger wussten, dass sie die Besten waren. Das brauchte er ihnen nicht zu sagen. Nein, Fell war dabei, die Frauen und Männer einzuschätzen, zu beurteilen, ob sie leben oder sterben würden und falls sie überleben würden, ob sie in der Lage waren, morgen wieder zu kämpfen.
Er sah auf und bemerkte, dass sie ihn beobachtete. Sie glaubte, einen Anflug von Gefühl auf seiner Miene zu entdecken. Doch dann wurde ihr klar, dass sie es sich eingebildet haben musste. Sie hatte noch nie jemanden getroffen, der seine Gefühle so gut verbarg wie Fell Aron Lee.
Außerdem wurde es dunkel. Sie blickte nach Westen, wo der Himmel sich unheimlich grüngrau verfärbte. Wolken türmten sich hoch oben, und zum ersten Mal verspürte sie die leichte Kühle des kommenden Herbstes in der Luft.
» Sieh mal!«, sagte Doon. Indaro drehte sich um und sah in die Richtung, in die ihre Dienerin zeigte.
Eine Gestalt näherte sich im Laufschritt aus Norden dem umstellten Lager. Indaro sah, dass es einer ihrer eigenen Leute war. » Kundschafter im Anmarsch!«, rief sie nach unten.
Fell stand auf und ging der Frau entgegen. Die beiden unterhielten sich kurz. Dann sah er sich um. » Hört zu.« Er hatte seine Stimme kaum erhoben, aber jeder verstand ihn, und Schweigen machte sich im Lager breit. » Sie haben sich bis zum Fluss
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