Der Monat vor dem Mord
keine große Mühe dabei. Nur einmal sagte er keuchend: »Zum Teufel, sei doch kein Fisch. Tu doch, was du willst! Hol dir doch alles, was du brauchst!«
Da schluchzte sie wieder, und es gab keinen Höhepunkt und keine Sekunden nebelhafter Hemmungslosigkeit. Sie schluchzte noch immer, als er schon halb eingeschlafen war. Sie fragte: »Kann eigentlich mein Herz plötzlich nicht mehr mitmachen?«
»So ein Blödsinn«, sagte er matt. »Der Arzt hat mir selbst gesagt, du könntest hundert Jahre alt werden.« Dieser Gedanke erschreckte ihn maßlos. Maria einhundert Jahre alt. Fast sechzig Jahre noch defensives Gekicher, scheues Getue. Unter diesen Umständen würde es besser sein, wenn sie eine ihrer Herzattacken nicht überstand. »Du wirst hundert Jahre alt«, wiederholte er.
»Wenn ich glücklich bin«, sagte sie bitter.
»Es wird wieder besser«, sagte er. Irgendwann schlief er ein.
Dann kam der Tag, der Ocker und ihn einen Schritt weiterbrachte,
Ocker kam hereingestürzt und sagte: »Ich habe Detailanalysen!«
»Wie sehen die aus?«
»Ja, das ist komisch«, sagte Ocker. »Die Zelle besteht zu 95 Prozent aus Wasser. Der Rest sind Enzyme und Fermente. Wir können davon ausgehen, dass diese Stoffe als Katalysatoren wirken. Wenigstens nehme ich das an.«
»Das klingt nicht gut«, sagte Horstmann. »Je simpler eine Zelle gebaut ist, desto schwieriger ist es, sie auszuschalten.«
Ocker wollte die Sache ein wenig ins Lächerliche ziehen, er wollte ihr die Bedeutung nehmen. So sagte er wie ein Abiturient: »Kennst du den Witz von der Nutte, die auf ...«
»Hör auf!«, sagte Horstmann. »Wir sollten dieses Ding nicht mehr als Zelle beschreiben, sondern als Gehirn. Zelle passt nicht«
»Wie du willst« maulte Ocker. »Aber damit kommen wir nicht weiter.«
»Nein«, murmelte Horstmann. »Wir sehen uns in der Kantine.«
Ocker ging hinaus wie jemand, der verprügelt worden ist.
Horstmann rauchte die zwanzigste Zigarette an diesem Morgen. Er hatte sich vorgenommen, Selbstkontrolle zu üben. Das begann damit, dass man zunächst einmal feststellte, wie viel man eigentlich rauchte.
Plötzlich stand Binder in der Tür. Er war ein unscheinbares Männchen, aber es war wichtig, so zu tun, als möge man ihn. Binder war der Finanzchef, der oberste Buchhalter. Von ihm hing es zuweilen ab, ob man einen Vorschuss bekam oder nicht.
»Welche Ehre«, sagte Horstmann. Er gab sich vollkommen zerstreut.
»Für mich ist es keine«, sagte Binder. »Ich suche eine Schreibmaschine.«
»Eine Schreibmaschine?« Horstmann war einen Augenblick lang verblüfft.
Binder nickte wichtig. »Der Bestand an Maschinen weist einen Fehler auf. Aber hier ist keine. Haben Sie eine mit nach Hause genommen?«
»Nein.«
»Natürlich, natürlich«, Binder wirkte nervös. »Sie arbeiten verflucht viel. Das weiß ich aus den Tagebüchern des Labors.«
»Man tut, was man kann.« War dieser Binder eine miese Type!
»Haben Sie das Mittel schon?«
Horstmann ließ sich verleiten. Er wollte Binder ducken. Er sagte: »Man findet alles, wenn man will. Wir sind ziemlich weit.«
Binder starrte auf die Straße. »Ich möchte nicht wissen, was die Konkurrenz von drüben dafür bezahlt.«
»Ich bin nicht käuflich«, sagte Horstmann.
»Natürlich nicht«, sagte Binder. »Ich meinte ja auch nur, was man für einen Haufen Geld verdienen könnte, wennman irgend jemandem einen kleinen Zettel in die Tasche rutschen ließe.«
»So was!« sagte Horstmann empört.
»Das trifft nicht auf Sie zu«, sagte Binder rasch. »Aber trotzdem: Zweihunderttausend sind drin, schätze ich.«
»Möglich. Vielleicht auch mehr. Was soll’s?«
»Überlegen Sie sich die Sache doch einmal«, sagte Binder beiläufig.
»Wie bitte?« Horstmann war sprachlos.
Binder begann zu lachen. »Nur ein Scherz«, murmelte er, »nur ein kleiner Scherz.« Aber er wirkte noch immer nervös. »Hier ist die Maschine also nicht, Machen Sie’s gut.«
Horstmann sah Binder nach, ohne zu antworten.
Das Telefon klingelte. »Der Chef will Sie sprechen«, sagte die Frau.
»Was will er denn?«
»Ich weiß es nicht. Er ist nervös.«
Hinter dem mächtigen Schreibtisch wirkte das fette Grinsen des Chefs unappetitlich.
»Horstmann, Horstmann, kommt ihr weiter?«
»Es ist schwer«, sagte Horstmann. »Sind die anderen Gruppen weitergekommen?«
»Nicht die Bohne«, sagte der Chef. Er hatte Hände, von denen man unwillkürlich annehmen musste, sie seien dazu geschaffen, drallen Kellnerinnen in den Hintern
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