Der Mond bricht durch die Wolken
sprach der Junge? Haben Sie eine Ahnung?«
»Scorer? Ja, ich werde Scorer ausquetschen müssen, wenn die Sache hier vorbei ist«, sagte der Pfarrer. »Er läßt sich zum Glück leicht erschrecken. Möchte wissen, ob er Doc Mason gefunden hat.«
»Ja, ich glaube, das hat er.«
»Im Grunde fehlt ihm gar nichts… Nein, um auf das zu kommen, was er gemeint hat: Ich habe keine Ahnung.« Er hatte genug von dem Kartenhaus, ließ die Hand herabfallen und drückte es platt. »Erpressung, auch das noch… Aber er hat offenkundig nicht phantasiert.«
»Nein.«
»Das war etwas, das ihm wirklich zugestoßen ist.«
»Ja… Sagen Sie, warum nennen Sie sich Madame Sosostris, berühmte Wahrsagerin?«
»Das war der Major. Er hat das vorgeschlagen.«
»Aha.«
»Früher war ich Gypsy Rose Lee, aber eine Änderung erschien mir schließlich angebracht. Wieso?« fragte der Pfarrer argwöhnisch. »Was stimmt denn nicht an Madame Sosostris, berühmte Wahrsagerin?«
»Alles stimmt. Es ist nur aus einem Gedicht, das ist alles.«
»Aus einem Gedicht ?« Der Pfarrer verriet stärksten Abscheu. »Gedicht ! Erst neulich«, vertraute er Fen an, »hat der Major mich dazu gebracht, irgendein Gedicht zu lesen, über jemanden, der in eine Kirche geht und irische Sixpence spendet. Als wären nicht schon genug ausländische Münzen in den Opferstöcken. Lassen Sie mich nur den Hals dieses Dichters zwischen die Finger bekommen«, sagte er düster, »und ich werde ihm was six-pencen.«
»Die nicht anerkannten Gesetzgeber der Welt«, sagte Fen.
»Nicht anerkannte Gesetzgeber, die nicht anerkannte Gesetze am laufenden Band produzieren«, sagte der Pfarrer. »Wollen Sie noch mehr über Ihre Zukunft wissen?«
»Nein. Ich will etwas über Mavis Trent wissen.«
»Kein Grund, warum Sie das nicht erfahren sollten. Aber Sie werden noch einen Obolus entrichten müssen.«
»In den Zeitungsarchiven erfahre ich das umsonst.«
»Kommen Sie, kommen Sie, Sie sind doch kein Geizhals, oder?« Mit einigem Widerstreben überreichte Fen ihm noch ein FünfzigPence-Stück. »Sie dürfen aber meine Zeit nicht zu lange in Anspruch nehmen«, mahnte der Pfarrer. »Sehen Sie nach, wie viele schon anstehen ja?«
Fen stand gehorsam auf, ging zur Zeltklappe und schaute hinaus.
»Niemand ist da«, meldete er bei der Rückkehr.
»Meine Pfarrkinder sind ein Haufen alter Knicker«, sagte der Pfarrer grollend. »Also, nun, Mavis Trent. Eine Witwe. Um die Vierzig, sah aber jünger aus. Sehr blondes Haar gefärbt und eines von diesen attraktiven schelmischen Gesichtern, nicht eigentlich hübsch, geschweige denn schön, aber auf irgendeine Weise sehr anziehend; es heiterte einen schon auf, wenn man sie nur sah. Hübsche Figur und gut gekleidet einfache, gutgeschnittene Sachen, nichts Knalliges. Ihr Mann starb ziemlich jung an Leukämie, aber zum Glück war er einer von den Leuten mit Versicherungsmanie, und Mavis bekam so viel Geld, daß sie nicht zu arbeiten brauchte, obwohl sie tatsächlich ziemlich viel machte vorübergehend oder halbtags –, zum Teil, weil sie unter Leuten sein wollte, und zum Teil, weil sie nicht der Typ war, der den ganzen Tag mit den Händen im Schoß herumsaß. Sie leistete auch viel unbezahlte Arbeit, kochte Essen für Pensionäre und half bei Kindern mit, und so weiter.«
»Hört sich an wie ein Muster an Vollkommenheit«, meinte Fen.
»Sie war eine durch und durch nette Frau«, sagte der Pfarrer. »Alle mochten sie. Und die meisten Leute mochten sie auch dann noch, als ihr Mann gestorben war.«
»Was trieb sie denn dann?«
»Männer«, sagte der Pfarrer. »Sie fing plötzlich an, auf Männerjagd zu gehen. So etwas hatte es nicht gegeben, als ihr Mann noch am Leben gewesen war, jedenfalls wußte niemand etwas davon, aber ein paar Monate nach seinem Tod ging es los, und zwar mit Gewalt.«
»Alles gewandelt, völlig gewandelt«, meinte Fen. »Verworfen ein Ding nun entsteht.«
»Wieder ein Gedicht, nehme ich an. Mavis war wohl eine Nymphomanin, aber sie so zu nennen, erweckt einen falschen Eindruck. Sie schien nie zu flirten oder zu liebäugeln und dergleichen. Aber das brauchte sie auch nicht, oder jedenfalls nicht auffällig: sie war einfach von Natur aus fröhlich sexy, mit einer Art angeborener, spontaner Verlockung, die einem sehr stark das Gefühl verlieh, mit ihr Liebe zu machen würde ein reines Vergnügen ganz ohne Komplikationen sein. So war es auch vermute ich jedenfalls. Verdammt, ich war von dem Mädchen selbst ganz eingenommen.
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