Der Mond bricht durch die Wolken
vollständigen Bericht über den Vorfall zu schreiben und war damit, begleitet von fernen Schreien und Scheltworten Ortruds in ihrer Zelle, noch beschäftigt, als Ling von seinem einsamen Spaziergang zurückkehrte.
Unterstützt von wortreichen Einschüben Rankines, berichtete Connabeer, was sich zugetragen hatte.
»Crumb?« sagte Ling fassungslos. »Crumb war für die Festnahme dieser Frau verantwortlich?«
»Ja, Sir. Ich weiß wirklich nicht, was in ihn gefahren ist. Aber es ist so.«
»So, so.« Lings Melancholie hatte beim Zuhören beträchtlich nachgelassen, und er war beinahe wieder so zuversichtlich wie sonst. »Der Wunder ist kein Ende… Was, um alles in der Welt, ist das für ein Lärm, Sergeant?«
»Das ist sie, Sir. Es scheint ihr nicht zu passen, daß sie eingesperrt ist.«
»Und wo ist Inspektor Widger?«
»Das weiß ich nicht, Sir. Ich glaube nicht, daß er im Haus ist.«
»Aha. Nun, ich rede wohl besser mit der Frau. Rankine, Sie können mitkommen und stenografieren.«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, daß ich das sage, Sir«, erwiderte Connabeer, »würde ich außer Rankine noch ein paar andere Leute mitnehmen. Sie ist eine richtige Wildkatze.«
Ling hatte Ortrud nie kennengelernt.
»Ach was«, meinte er hochmütig. »Diese Leute sind alle gleich. Wenn man sie festnimmt, geht ihnen die Luft aus. Wo ist der Schlüssel?«
Connabeer überreichte den Schlüssel zu Ortruds Zelle, und Ling stapfte, gefolgt von Rankine, davon. Connabeer rief zwei Constables zu sich und eilte ihnen nach. Ling war nicht so vertieft darin, den Schlüssel in das Schloß zu stecken, daß er das übersehen hätte, aber er sagte nichts und zog nur spöttisch die Brauen hoch.
Die Zellentür öffnete sich, und er marschierte hinein.
»Also, Mrs. Youings«, hörten sie ihn sagen, »was muß ich da alles erfahren von AAAAAAAAARH.« Denn er hatte keine Zeit, die Frage ganz auszusprechen: Ortrud hatte ihre Finger um seinen Hals gelegt und übte mit den Daumen beträchtlichen Druck auf seine Augäpfel aus.
Schnell, jedoch nicht ohne anstrengende Rauferei, bewahrten die Männer Ling davor, für immer blind zu werden. Connabeer hieb Ortrud zu Boden und zerrte Ling rückwärts durch die Tür, um hastig hinterherzustürzen. Er schlug die Tür zu und sperrte sie ab, dann standen sie alle einen Augenblick im Flur und keuchten.
»Sie hat mich angefallen«, ächzte Ling. »Sie hat mich angefallen – mich. Sie wollte mir die Augen herausdrücken. Mein Gott!« Mit großer Vorsicht öffnete er das Guckfenster. »Jetzt passen Sie einmal auf, Mrs Youings«, sagte er, aber alles, was er zu hören bekam, war eine Flut deutscher Worte, eine Sprache, die er nicht verstand.
»Wir müssen einen Dolmetscher holen«, sagte er, sich ein wenig erholend. »Sergeant, ist jemand in der Station, der deutsch spricht?«
»Ich glaube nicht, Sir.«
»Dann versuchen Sie, jemanden zu finden. Aber es eilt nicht. Offensichtlich ist es nutzlos, sie vernehmen zu wollen, wenn sie in dieser… Stimmung ist.« Er straffte die Schultern. »Inzwischen besuche ich wohl besser den Mann. Er liegt im Krankenhaus, glaube ich, sagten Sie.«
»Ja, Sir. Aber ich weiß nicht, wie schlecht es ihm geht.«
»Macht nichts, ich will auf jeden Fall hin. Besorgen Sie mir einen Wagen mit Fahrer, ja? Ach ja, und wenn Inspektor Widger auftaucht, sagen Sie ihm, was geschehen ist und wo ich bin.«
»Sehr wohl, Sir. Soll er auch ins Krankenhaus kommen?«
»Nein, ich glaube nicht. Sagen Sie ihm, er soll hier auf mich warten. Das könnte der Durchbruch sein, auf den wir gewartet haben, Sergeant.«
Im Krankenhaus erfuhr Ling, daß Youings ganz knapp mit dem Leben davongekommen war. Ortrud hatte mit Wucht zugeschlagen. Aber zum Glück besaß ihr Mann einen harten Schädel, und bis zu einem gewissen Grad hatten seine Stoffmütze und seine dichten blonden Haare ihn geschützt. Er hatte eine Gehirnerschütterung und eine ausgedehnte, schmerzhafte Platzwunde am Kopf, aber er stand nicht mehr auf der kritischen Liste. Eine ältere, grimmige Krankenschwester mit Schnurrbart führte Ling in das Einzelzimmer, wo Youings auf Connabeers Drängen hin untergebracht worden war, und dort sah Ling ihn auf dem hohen Bett liegen, den Kopf eingebunden, blaß im Gesicht, schläfrig von den Spritzen, aber durchaus zu zusammenhängender Rede noch imstande und fähig, Fragen zu beantworten.
Ein Constable, der mit Notizblock und Bleistift in einer Ecke gesessen hatte, stand auf, als Ling hereinkam, und
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