Der Mond im See
wußte erst gar nicht, was geschehen war. Ja, und dann mußte ich es ihr natürlich sagen. Ich habe Ruedi angerufen, er kommt dann gleich.«
Aber was sollte Ruedi tun? Er konnte Renate nicht ständig mit Spritzen beruhigen.
»Es ist furchtbar«, stöhnte Madame Hélène. Sie saß an ihrem Schreibtisch, den Kopf in die Hände gestützt. »In meinem Hotel solch eine Affäre!«
»Jeannot ist nicht da«, sagte Ilona plötzlich. »Ich war vorhin unten bei den Ställen. Seine Sachen sind da – er aber nicht.«
»Halten Sie es durchaus für möglich, daß er mit der Geschichte zu tun hat?«
Ilona nickte. »Ja, ich halte es für möglich. Von Pferden verstand er nichts, nicht wahr? Und er kam von selber hierher. So war es doch?«
»Ja«, bestätigte Madame Hélène. »Er kam einige Tage, nachdem Peter die Schlägerei hatte und bot seine Hilfe an.«
»Hm«, meinte ich. »Fragt sich, ob es wirklich eine Schlägerei war. Ob man Peter nicht ganz planmäßig aus dem Weg haben wollte, um Jeannot hier einzuschleusen.«
»Meinst du, daß er zusammen mit der Pflegerin das Kind entführt hat?«
»Es sieht so aus. Und ein dritter war auch noch dabei.«
»Wer?«
»Keine Ahnung. Ein Freund von der Schwester. Ich habe ihn gesehen.«
»Wir müssen etwas unternehmen«, sagte Madame Hélène zum drittenmal. »Warum rufst du diesen Kommissär nicht an? Oder die Kriminalpolizei in Zürich?«
»Ich werde etwas unternehmen«, beruhigte ich sie. »Vor allem würde ich nachher gern einmal Renate sprechen. Würden Sie ihr das sagen, Hedy?«
Hedy nickte. »Ja. Und jetzt muß ich wieder hinauf. Ich kann sie nicht so lange alleinlassen.«
»Und ich werde hinuntergehen und die Pferde füttern«, sagte ich.
»Das habe ich schon getan«, sagte Ilona. »Sie haben gestern abend auch nichts bekommen und waren sehr hungrig.«
Endlich war ich ein paar Minuten mit Madame Hélène allein. Hedy ging nach oben, Ilona hatte an der Rezeption zu tun.
»Kommissär Tschudi ist auf dem Wege hierher«, sagte ich eilig. »Aber es darf keiner wissen, daß er kommt. Er wird drüben bei uns sein. Sollte sich hier inzwischen etwas ereignen, Madame, lassen Sie es mich wissen. Ich glaube, Sie können ruhig Ilona schicken. Wir können ihr vertrauen.«
»Wieso?« fragte Madame Hélène widerborstig. »Kannst du das wissen? Sie ist gerade vier Wochen hier. Ich komme selbst. Oder ich schicke dir Annabelle.«
Der Kommissär und Herr Baumer kamen ganz unauffällig in meinem kleinen Wagen.
Zu dritt saßen wir im Wohnzimmer, mit Kaffee versorgt, und besprachen den ganzen Fall. Amigo hörte uns mit gespitzten Ohren zu.
»Schade, daß er nicht reden kann«, meinte der Kommissär, »er könnte uns viel erzählen. Er könnte uns vor allen Dingen bestätigen, ob der Mann mit der Sonnenbrille, den Sie gesehen haben, der Entführer ist. – Was war es für ein Wagen, in dem die beiden saßen?«
»Ein blauer Buick, etwas ältere Type. Kennzeichen war Zürich. Nummer habe ich mir leider nicht gemerkt.«
»Sehr schade. Und nun schildern Sie mir den Mann genau.«
»Ich habe sogar eine kleine Skizze von ihm gemacht«, sagte ich. Ehe die beiden kamen, hatte ich mich damit beschäftigt.
Er betrachtete die Zeichnung aufmerksam. »Hm. Gutaussehender Mann, einer, der Frauen gefällt, sehr markant, fast ein südländischer Typ. Das stimmt so, meinen Sie?«
»Annähernd. Ich habe ihn ja nur einmal von vorn gesehen, im ›Storchen‹ damals, und so viel Aufmerksamkeit habe ich ihm natürlich auch nicht gewidmet. Und dann fehlen natürlich die Augen. Jedem Gesicht fehlt der Ausdruck, wenn es keine Augen hat.«
»Eben. Ich kann es mitnehmen?«
»Selbstverständlich.«
»Weiter. Erzählen Sie mir alles, was Sie über die Schwester wissen. Und was Sie mit ihr geredet haben.«
»Wissen tue ich praktisch über sie nichts. Mein Freund Dr. Lötscher ist der Ansicht, sie ist keine gelernte Krankenschwester. Und der Mixer Jonny behauptet, sie schon einmal gesehen zu haben in anderem Rahmen, kann sich aber bis jetzt nicht besinnen, wo und wann. Daß sie mit Monsieur Bondy bekannt war, wissen Sie schon. Wie sie zu Frau Thorez gekommen ist, weiß ich nicht. Das werden Sie wohl am besten von ihr erfahren.«
»Das weiß ich schon«, murmelte der Kommissär vor sich hin. »Ich habe es anläßlich der Ermittlungen im Fall Bondy erfahren. Frau Thorez hatte eine Pflegerin engagiert, die man ihr in der Klinik empfohlen hatte, in der ihr Sohn zuletzt stationär behandelt wurde. Diese
Weitere Kostenlose Bücher