Der Mond im See
ihre Haushälterin gehört hat, spielt natürlich bei unseren Ermittlungen eine Rolle. ›Das mache ich nicht mit‹ – so war es doch wohl, nicht?«
»Ich würde gern ihre Haushälterin nachher noch mal sprechen«, sagte der Kommissär. »Ist sie da?«
»Natürlich«, erwiderte ich. »Beide Damen waren gespannt, was hier passiert.«
»Sie haben doch gesagt, daß unsere Zusammenkunft geheim bleiben soll?«
»Ja. Ich habe es ihnen gesagt. Nur Madame de Latour habe ich Mitteilung gemacht, daß Sie herkommen. Sie ist heute morgen aus Zürich zurückgekommen und war natürlich sehr aufgeregt.«
Der Kommissär nickte. »Ich würde sie gern noch sprechen. Auch den Arzt und auch Madame Thorez. Aber ich möchte im Schloß nicht in Erscheinung treten. Glauben Sie, Sie könnten es ermöglichen, daß beide im Laufe des Vormittags hier herüberkommen?«
»Madame Thorez würde ich übernehmen«, sagte Herr Baumer. »Herr Ried wird mich in seinem Wagen hinunter an das Nordende des Sees fahren, ich werde zu Fuß ins Hotel gehen und dann versuchen Madame Thorez zu sprechen.«
Das gab mir einen Aufschub. Denn, ehrlich gestanden, ich hatte Angst, Renate zu treffen.
»Im Hotel soll es möglichst verborgen bleiben, daß ich mit dem Fall befaßt bin. Wir müssen auf jeden Fall abwarten, wann sich die Entführer wieder melden. Ihre Anwesenheit«, sagte der Kommissär mit einer kleine Verbeugung zu Herrn Baumer, »ist mir eine große Hilfe. Sie können im Schloß beobachten, was vorgeht, was die Leute reden, wie einzelne reagieren. Nicht nur die Gäste, auch das Personal ist verdächtig. Vor allem die, die noch nicht lange da sind.«
Dann erfuhr ich, was der Kommissär in dieser Nacht schon alles unternommen hatte. Zürich und Bern waren verständigt worden und von da aus die obersten Kriminalbehörden aller angrenzenden Länder. Die Fahndung lief auf vollen Touren, nur leider gab es nicht viel, woran man sich halten konnte. Eine blonde Frau in Schwesterntracht, ein Mann mit einer Sonnenbrille und ein kleiner Junge – das war nicht viel. Die Schwesterntracht konnte man ausziehen, die Sonnenbrille absetzen und den kleinen Jungen verstecken. Das konnte man in der Schweiz, in Frankreich und in Italien tun.
Kam jetzt noch Jeannot dazu. Auf die Bitte von Kommissär Tschudi fertigte ich noch eine Skizze von dem hübschen Jungen an. Nicht daß ich ein großer Maler bin. Aber ich bin es gewöhnt, mit dem Zeichenstift umzugehen, und bringe unter Umständen zwar kein künstlerisches, aber ein immerhin leidlich ähnliches Porträt zustande.
»Hm«, machte der Kommissär, als er mein Werk betrachtete, »niedlich. Sieht fast so aus wie ein Mädchen.«
»Vielleicht ist er auch so was Ähnliches«, sagte ich und erzählte, was Ilona für eine Meinung von dem Jungen hatte.
»Das würde uns weiterhelfen, wenn es stimmt. Diese Kreise kann man sehr genau überprüfen. Wo kam er her?«
Das wußte ich nicht. Aber mir fiel etwas anderes ein, und ich sagte es gleich auch dem Kommissär. »Man sollte bei der Fahndung darauf achten, ob vielleicht einer der oben Genannten eine verbundene Hand oder sonst eine Verletzung hat. Denn ich könnte mir denken, daß Amigo denjenigen, der René grob anfaßte oder ihn mit Gewalt fortzog, angesprungen hat. Und daß man den Hund aus Wut darüber so brutal niedergestochen und mit einem schweren Gegenstand geschlagen hat. Der Hund liebte René, er wartete täglich stundenlang im Gebüsch und war glücklich, wenn er neben dem Rollstuhl herlaufen durfte. Nach meiner Meinung muß sich in den letzten Minuten ein Kampf zwischen den Entführern und dem Hund abgespielt haben.«
Der Kommissär und Herr Baumer waren auch meiner Meinung. Man würde sehen – vielleicht war das ein Hinweis.
»Nun möchte ich Madame de Latour sprechen«, sagte der Kommissär. »Und einer von Ihnen muß sich unauffällig mit dem Mann unterhalten, der vorher im Stall gearbeitet hat. Ist er vernehmungsfähig?«
»Soviel ich weiß, hat Annabelle de Latour mit ihm gesprochen, vor einigen Tagen. Sie erzählte mir so etwas. Er wolle sowieso seine Arbeit wiederaufnehmen.«
»Gut. Würden Sie bitte die beiden Damen hier im Haus, Ihre Frau Tante und die Haushälterin, jetzt einmal bitten, zu mir zu kommen. Und inzwischen möglichst unauffällig Madame de Latour herüberbringen.«
Tante Hille und das Gretli verschwanden aufgeregt im Wohnzimmer, während ich mich, mit der Badehose als unauffälliges Requisit bewaffnet, auf den Weg ins Schloß
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