Der Mond im See
ich. Ich stehe hier und bin bloß dumm.«
Ich legte meinen Kopf an Bojars Hals und war traurig. Aus diesem und aus tausend anderen Gründen.
»Weiß Bojar auch keinen Rat?« hörte ich eine leise Stimme hinter mir.
Ich wandte mich um. Unter der Stalltür stand Ilona. Und plötzlich merkte ich, wenn es irgendeinen Anblick auf dieser Welt gab, der mir wohltun konnte, dann war es dieser. Da stand sie also, das Ungarnmädchen aus Wien, sie trug eine grüne Lederjacke, hatte eine Tüte unter dem Arm und eine andere in der Hand.
Sie sah mich an.
»Ilona!« sagte ich.
Ich weiß nicht, wie es geklungen haben mag. Vielleicht unglücklich. Vielleicht ein bißchen zärtlich. Vielleicht so wie man einen Freund anspricht. Sie errötete ein wenig und kam näher.
»Hier ist Futter für Amigo. Falls er schon wieder fressen kann. Wie geht es ihm denn?«
»Ihm geht es eigentlich gut. Und fressen kann er immer.«
In der anderen Tüte waren gelbe Rüben. Die verteilte sie gerecht unter die Pferde.
»Was Neues?« fragte sie dabei.
»Nein. Nichts Neues. Oder falls es etwas gibt, weiß ich es noch nicht. Ich bin nur ein Wichtigtuer am Rande, den das alles nichts angeht.«
»Wer sagt das?«
»Die Dame, mit der Sie mich verheiraten wollten.«
Sie errötete wieder. »Nicht ich. Sie wollten doch.«
»Ich habe mir eingebildet, daß ich es wollte.«
Als wir die Pferde gefüttert hatten, blieben wir eine Weile vor dem Stall stehen.
»Ich müßte Abendbrot essen gehen«, murmelte ich und sah in den grauen Himmel hinauf, der schon dunkel wurde. Kein Mond heute.
»Dann gehen Sie doch«, sagte Ilona.
»Ich habe sowieso keinen Hunger.«
Wir gingen langsam abwärts, an den Tennisplätzen vorbei, zum Weg, der unten durch den Park führte.
Das Strandbad war leer und verlassen. Der See grau und unbeweglich. Hier hatte ich René und Ilona das erstemal gesehen. Ein kleiner Junge, der auf den Stufen am Wasser saß, einen großen Hund neben sich. Ein Mädchen, das draußen im See schwamm.
»Wo er wohl sein mag?« fragte Ilona.
»Wenn ich das wüßte! Ich weiß nicht, was ich dafür gäbe.«
Wir setzten uns auf die Bank unter der Eiche, ich zog meine Zigaretten heraus und bot ihr eine an. Wir rauchten schweigend.
»Haben Sie Frau Thorez heute gesehen?« fragte Ilona nach einer Weile.
»Ja. Ich erzählte ihr, was Renate gesagt hatte.«
Sie nickte. »Es ist verständlich. Aber die Polizei arbeitet natürlich noch an dem Fall, nicht wahr?«
Ich sah ihr ins Gesicht. Daß sie ein hübsches Mädchen war, hatte ich damals gleich gesehen. Aber jetzt sah ich viel mehr. Wie rassig und wohlgeformt ihr Gesicht war, leicht gebräunt, eine feine, schmalrückige Nase mit empfindsamen Nasenflügeln, das Kinn energisch und der Mund nicht zu klein, voll und schön geschwungen. Und ihre hellgrauen Augen hatten einen schwarzen Rand um die Iris, das machte sie so ausdrucksvoll.
»Warum sehen Sie mich so an? Wollen Sie es mir nicht sagen?«
»Doch. Natürlich. Ich denke schon, daß die Polizei sich mit dem Fall beschäftigt. Sehr vorsichtig natürlich.«
»Herr Baumer auch. Er hat sich heute lange mit mir unterhalten. Wollte wissen, woher ich komme und was ich vorher getan habe.«
Sie sah auf einmal angstvoll aus und kindlich. »Glauben Sie, daß man mich verdächtigt?«
»Ich glaube nicht. An sich sind zunächst mal alle Leute hier im Hotel verdächtig. Herr Baumer denkt, daß eventuell sich hier im Hause noch jemand befindet, der mit der Sache zu tun hat. Kann sein oder auch nicht.«
»Kann denn jemand wirklich denken, daß ich kleine Kinder verschleppe?«
»Nein. Darum geht es auch nicht, es handelt sich jetzt nur darum, wer eventuell gewußt haben kann, daß René hier sein wird.«
Ich setzte ihr geduldig auseinander, wie Herr Baumer die Sache sah.
Sie nickte. »Ja, das sehe ich ein. Aber ich habe nie etwas von der Familie Thorez gehört. Und ich lernte René erst kennen, als er hier mit seiner Großmama ankam. Und mit der Schwester. Da war ich gerade selber erst zehn Tage hier.«
»Immerhin haben Sie mit ihrem Hinweis auf Herrn Bondy der Polizei sehr geholfen, das wissen Sie ja. Es war wirklich jener Mann, den Sie wiederzuerkennen glaubten.«
»Ja. Herr Baumer sagte es mir. Es war ein Zufall, daß ich ihn kannte.«
»Ich denke immer noch, wenn es gelingt, den Verbleib und den Umgang des Herrn Bondy in den letzten Jahren zu ermitteln, daß man auch den Entführern auf die Spur kommen wird. Bondy ist die stärkste Waffe der Polizei. Es war
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