Der Mond im See
sie aufgeführt hat, als sie von seinem Tod hörte. Ihr eigenes Schicksal war ihr ganz egal. Und sie ist heute nur noch ein Schatten von dem, was sie war.«
»Und Yves Marcheaud?«
»Tja, ihm ist eigentlich kein Verbrechen nachzuweisen. Seine einzige Schuld besteht darin, daß er dem kleinen Freund Jeannot erzählte, was er seinerseits von Annabelle Sutter gehört hatte. Nämlich, daß René Thorez mit seiner Großmutter nach Schloß Wilberg reisen würde. Jeannot wiederum war einer dieser kleinen Handlanger, die Huszár für seine Geschäfte gebrauchte.
So kam das alles in Fluß. Yves Marcheaud wird natürlich als Zeuge vor Gericht aussagen müssen.«
»Angeklagt ist dann also nur noch Dorette?«
»Und Jeannot. Er war schließlich an der Entführung beteiligt.«
»Er ist davongekommen?«
»Ja. Man hat ihn wieder auf die Beine gebracht. Nur so hübsch wie vorher ist er nicht mehr.«
Nun gab es nur noch eine Frage, die ich gern gestellt hätte. Aber ich hatte Angst davor. Der Kommissär schien es genau zu wissen.
»Das ist doch nicht alles, was Sie wissen wollen. Denn das wußten Sie ja mehr oder weniger schon.«
»Ich habe ihren Namen nirgends gelesen. Hatte sie – hatte sie mit der Sache zu tun?«
»Nein. Sie hatte nichts damit zu tun. Das ist natürlich genau und gründlich untersucht worden. Es war bestimmt keine angenehme Zeit für sie. Doch es war wirklich weiter nichts als ein dummer Zufall, daß sie ausgerechnet die Stellung auf Schloß Wilberg angenommen hatte. Und daß es ihr Bruder war.«
»Es muß schwer für sie sein«, sagte ich leise. »Sie hat keinen Menschen auf der Welt, der zu ihr gehört. Ihre Mutter ist ja erst vor einem Jahr gestorben. Und jetzt – ihr Bruder – es ist – es ist ganz furchtbar.«
Wir schwiegen eine Weile. Der Kommissär zündete sich umständlich eine Zigarre an und fragte dann ernst: »Ach, entschuldigen Sie, darf ich überhaupt rauchen?«
»Natürlich. Ich habe neulich auch schon wieder meine erste Zigarette probiert. Aber der Arzt meinte, ich soll lieber noch etwas warten damit.«
»Wird wohl auch besser sein«, meinte Kommissär Tschudi. Ich schenkte uns beiden ein Glas Wein ein. Das war mir bereits erlaubt.
»Und wo ist sie jetzt?«
»Madame de Latour wollte sie behalten, nachdem alles geklärt war. Aber sie wollte nicht bleiben. Was ich verstehen kann. Sie ging zurück nach Wien.«
»Und dort ist sie nun?«
»Nein, ich glaube nicht. Wie ich gehört habe, hat sie eine neue Stellung angetreten. Wieder in einem Hotel, irgendwo im Gebirge.«
»Sie wissen nicht, wo?«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber Sie könnten es erfahren?«
»Ich denke schon.«
»Würden Sie …«
Kommissär Tschudi nickte. »Ich würde.«
Ich schrieb ihr nicht. Davon versprach ich mir nichts. Ich reiste einfach hin, als ich wieder auf den Beinen war. Renate hatte ich geschrieben, daß ich sehr gern für einige Zeit an die Riviera kommen würde, schon um René und Amigo wiederzusehen. Ganz demnächst würde ich mich einfinden, ich hätte nur vorher noch etwas zu erledigen.
Es war ein Ort in Tirol, weniger bekannt für die Sommerfrische, sondern mehr als Winterurlaubsort berühmt.
Es war eine ruhige Zeit, als ich dort ankam, von München her übrigens, wo ich mich mal eben kurz bei meiner Firma hatte blicken lassen. Ich sollte mich nur erst ordentlich erholen, hatten die gesagt. Und dann: Sie seien stolz auf mich, und freuten sich sehr, wenn ich wieder bei ihnen arbeiten würde.
So etwas tut einem ja ganz gut.
Also, wie gesagt, ich kam dorthin nach Tirol, nur ein paar Urlauber schlenderten durch die Gegend, stille Genießer, die die milden Tage des frühen Herbstes zu schätzen wußten, die Ruhe auf den Straßen und die Stille in den Wäldern.
Ich stellte meinen Wagen auf den Parkplatz bei der Kirche, und dann suchte ich nach dem Hotel, das Kommissär Tschudi mir genannt hatte. Ich brauchte nicht weit zu gehen. Ein schönes, großes Haus, im heimeligen Stil des Alpenlandes gebaut.
Ich ging hinein. Die Halle war nicht so prächtig, wie in Schloß Wilberg, klein, ein paar rustikale Holzstühle standen da, das Empfangspult war auch nicht sehr groß, dahinter war das Büro, und ich sah sie gleich dort sitzen. Sie saß an einer Schreibmaschine und schrieb. Wahrscheinlich die Antworten auf die Bestellungen für die Wintersaison.
Sie hatte schon gemerkt, daß jemand gekommen war, stand auf, kam heraus, sagte: »Grüß Gott! Bittschön, was kann ich …«, und dann hatte sie
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