Der Mond im See
davon wissen. Und du warst zu jung, das mußt du selber zugeben.«
»Annabelle war genauso jung.«
»Aber bei einem Mädchen ist es etwas anderes. Sie war dann zwei Jahre in Lausanne, und als sie wiederkam, war sie wirklich eine junge Dame geworden. Na ja, und dann, du weißt ja.«
Madame Hélène lächelte einem gutaussehenden Paar zu, das an uns vorbei, die Badesachen in der Hand, hinab zum See schlenderte. »Guten Morgen, Madame! Guten Morgen, Monsieur!«
»Was für ein herrlicher Tag, Madame la Comtesse«, sagte der braungebrannte Herr freundlich. »Haben Sie das gute Wetter für uns bestellt?«
»Ich tue, was ich kann, für meine Gäste. Viel Spaß beim Baden.«
Wohlgefällig sah Madame Hélène den beiden nach. »Reizende Leute. Sie sind schon zum drittenmal hier. Ein Fabrikant aus Mannheim.«
»Aha«, sagte ich. »Sehr nette Leute.«
»Hast du schon gebadet? Wann bist du denn überhaupt gekommen?«
»Gestern nachmittag. Nein, gebadet habe ich nicht. Aber es geht gleich los. Darf ich denn noch unten – ich meine, ist das Strandbad für mich noch erlaubt?«
»Sei nicht albern. Warum denn nicht? Du gehörst doch zur Familie.«
Wir spazierten langsam weiter auf den schmalen Wegen.
»Herrliche Rosen«, sagte ich. »So schön waren sie früher nie.«
»Ich habe jetzt einen ausgezeichneten Gärtner. Ja, was ich sagen wollte – was wollte ich sagen?«
»Sie sprachen von Annabelle.«
»Ach ja, richtig. Es ist nicht sehr gut gegangen mit ihrer Ehe, das wird dir deine Tante ja erzählt haben. Sie war vielleicht doch zu jung.«
»Vielleicht. Vielleicht hat sie auch den Mann nicht geliebt, den der Graf ihr ausgesucht hatte.«
»Na ja, Liebe. Dazu war sie bestimmt mal zu jung. Sie hat vieles falsch gemacht. In einer Ehe muß man eben Kompromisse schließen, das ist nicht anders. Aber den Eigensinn hat sie von ihrem Vater geerbt. Du kennst das ja noch. Und nun ist sie so rastlos, sie macht mir Sorgen. Ich hatte gehofft, sie würde vielleicht hier im Hotel eine Aufgabe finden. Aber sie hat leider gar kein Interesse dafür.«
»Sie könnte sich wenigstens um den Pferdestall kümmern«, murmelte ich.
»Wieso? Was ist mit dem Pferdestall?«
Ich berichtete kurz über meinen Eindruck.
»Vielleicht sollte man die Pferde ganz abschaffen«, meinte die Gräfin nachdenklich. »Es kommt sowieso nur selten jemand, der reiten will. Und was den Burschen betrifft – wir hatten einen sehr guten Mann unten im Stall, der hat die Pferde auch bewegt. Aber er hat kürzlich einen Unfall gehabt. Und da mußten wir nehmen, was wir kriegen konnten. Du meinst, der versteht nichts von seiner Arbeit?«
»Vielleicht lernt er es noch. Wie gesagt, Annabelle könnte ihm ein bißchen auf die Finger sehen.«
»Ich werd's ihr sagen. Oder noch besser, du sagst es ihr. Sie bringt sich ja halb um mit ihrer Fuchsstute. Dann soll sie sich auch gefälligst um den Stall kümmern. Ich kann ja nicht reiten, und ich versteh' nichts von Pferden. Ich dachte mir nur …« Sie wandte sich zu dem Paar, das sich uns näherte und wovon ich die Hälfte kannte. »Guten Morgen, Madame. Sie fühlen sich heute wieder wohler? Guten Morgen, René.«
Eine weißhaarige alte Dame in einem hellen Leinenkleid mit einem feinen blassen Gesicht, elegant in Haltung und Exterieur, spazierte an der Seite des kleinen René auf uns zu.
René ging wie gestern an den Krücken, blickte mit einem scheuen Lächeln zu mir auf und sagte: »Hallo!«
»Hallo, René. Ich habe mich schon nach dir umgeschaut.«
Ich machte eine Verbeugung vor der alten Dame und fügte hinzu: »Wir haben uns gestern unten im Bad kennengelernt.«
Madame de Latour stellte mich vor. Die alte Dame nickte mir freundlich zu.
»Hast du Amigo heute schon gesehen?« fragte mich René leise.
»Nein. Aber gestern abend ist er mit mir gekommen und hat ein gutes Abendessen gekriegt.«
»Sicher wartet er unten auf mich. Wenn sie ihn nicht wieder weggejagt haben. Kannst du nicht mal schauen, ob du ihn findest?«
»Doch, das kann ich gern tun. Ich hole mir bloß meine Badehose, dann laufe ich durch den Park, schaue nach Amigo und gehe dann schwimmen. Und wenn ich ihn nicht finde? Kommst du auch ins Bad?«
René hob die Schultern. »Ich darf heute nicht hinunter. Großmama hat Angst, ich falle ins Wasser.«
Großmama hatte trotz ihrer Unterhaltung mit Madame de Latour unser halblautes Gespräch verfolgt.
»Du kannst doch hier oben im Garten bleiben, René. Du legst dich hier in den Liegestuhl, und ich
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