Der Mondmann
der Mondmann auf. So schnell, als hätte ihn die Dunkelheit ausgespien. Sie sah ihn laufen, und trotz der Dunkelheit hob er sich vom Boden ab, denn sie hatte den Eindruck, als würde er von einem hellen Streifen Licht begleitet, der um seinen Oberkörper herum wehte.
Sie glaubte nicht daran, dass er hatte fliehen wollen. Diese angebliche Flucht musste andere Gründe haben. Möglicherweise war es auch keine Flucht.
Plötzlich waren die Vögel neben ihr. Sie schrien sie an. Sie flankierten die Flüchtlinge und waren so nahe, das Carlotta nach ihnen hätte greifen können.
Melody klammerte sich zwar am Körper des Vogelmädchens fest, aber zugleich fing sie an zu schreien. Ihre Angst war einfach zu stark. Sie musste sich freie Bahn verschaffen.
Noch hatten sie das Glück, nicht attackiert zu werden. Sie wurden nur gezwungen, in eine bestimmte Richtung zu fliegen. Die Raben wollten dafür sorgen, dass sie auf dem Boden landeten.
Das hatte Carlotta nicht vor.
»Festhalten!« schrie sie noch mal. Mit einem heftigen Flügelschlag drehte sie nach rechts.
Drei Raben bildeten dort in der Luft so etwas wie eine Wand. Sie wollten Carlotta stoppen und griffen sofort an.
Dass ihre Schnäbel gefährlich waren, brauchte man Carlotta nicht erst zu sagen. Deshalb nahm sie ihre Hände zur Abwehr. Sie schaffte sich zwei Raben aus dem Weg, der dritte aber kam durch und prallte gegen ihre Stirn.
In diesem Augenblick wuchs Melody Marwood über sich selbst hinaus. Obwohl sie weiterhin über dem Erdboden schwebte, löste sie die rechte Hand von der Schulter und packte zielsicher zu.
Der Vogel schrie beinahe auf wie ein Mensch, als er sich in ihrem Griff wand.
Ob sie ihm dabei den Kopf zerdrückt hatte, wusste sie nicht. Jedenfalls hörte das Zucken auf, und sie schleuderte das Tier wie angeekelt in die Tiefe.
Was mit ihm passierte, sah Melody nicht, denn sie musste sich wieder festklammern.
Mit einer schnellen Bewegung war Carlotta ihren Häschern vorerst entkommen. Grund zur Freude hatte sie nicht, denn durch den Schwung nach unten, war der Erdboden wieder näher herangerückt.
Und damit der Mondmann.
Was jetzt passierte, lief innerhalb von wenigen Sekunden ab. Der Mondmann hielt sich in einer ungewöhnlichen Haltung auf. Sie war zu vergleichen mit der eines Diskuswerfers kurz vor dem Start. Und so verhielt er sich auch weiter, nur dass er keinen Diskus warf. Dafür löste sich etwas anderes aus seiner Handfläche, das, kaum hatte es seinen Platz verlassen, zu schimmern begann.
Genau war es nicht zu sehen, aber Carlotta wusste trotzdem, was die Handfläche verlassen hatte.
Es war die Mondsichel gewesen.
Und sie jagte, sich um sich selbst drehend, mit einer immensen Geschwindigkeit auf die beiden Flüchtlinge zu, um zumindest eine von ihnen – Carlotta – tödlich zu treffen...
Ich erzählte den anderen beiden nichts von meiner Entdeckung und blieb vor dem Fenster stehen, ohne jedoch den Blick von dem verdammten Raben abzuwenden.
Man hatte uns gefunden!
Ein Rabe zumindest. Ich glaubte nicht, dass es nur bei diesem einen Tier bleiben würde.
Der Vogel hatte sich so hingestellt, dass er durch die Scheibe schauen konnte. Er würde mich sehen können, und mir fiel auf, dass er sein Gefieder regelrecht aufgeplustert hatte.
Etwa eine Minute verging. Hinter mir hörte ich Maxine mit Casey sprechen. Noch immer war sie bemüht, ihn mit sanften Worten zu beruhigen.
Ich freute mich, dass die beiden auf eine gewisse Art und Weise mit sich selbst beschäftigt waren, so konnte ich mich um den Vogel kümmern. Nicht hier im Hausinnern, ich musste nach draußen.
Wo einer ist, da sind noch mehr!
Dieser Gedanke ließ mich nicht los. Er begleitete mich auf dem Weg zur Terrassentür, die ich noch nicht öffnen konnte, weil ich Maxine’s Stimme hörte.
»Willst du nach draußen?«
Ich drehte mich kurz zu ihr um. »Genau.«
Maxine war noch nicht aufgestanden. Sie saß auf der Couchlehne und schaute mich skeptisch an.
»Ist was, John?«
»Nein, ich möchte nur nach draußen, weil ich das Gefühl habe, dass die Vögel kommen müssen.«
»Gut, dann bleibe ich hier.«
»Darum wollte ich dich bitten.«
Die Tierärztin gab keinen weiteren Kommentar ab.
Sie schickte mir einen Blick zu, der besagte, dass sie mir trotz allem nicht so recht traute.
Mir war es egal. Ich hebelte die Tür auf und schlüpfte ins Freie, wo mich augenblicklich die kalte Luft erwischte und ich die große Wiese mit dem Vogel vor mir sah.
Der Rabe hatte meinen
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