Der Mondmann
Weg im Innern des Hauses genau verfolgt und sich so gedreht, dass er mich wieder anschaute. Seine gelben Glotzer schwebten dicht über dem dunklen Boden des Rasens und blieben auch dort wie zwei starre Kugeln.
Der Vogel tat nichts. Er schien wirklich seinen idealen Platz gefunden zu haben. Ein einsamer Vorflieger, denn nach wie vor rechnete ich mit dem Erscheinen seiner Artgenossen.
Deshalb warf ich automatisch einen Blick zum dunklen Himmel. Da funkelten die Sterne als ginge es darum, eine Weltmeisterschaft zu erringen. Scharf geschnitten stand die Mondsichel hoch über mir. Sie hatte einen bläulich glänzenden Rand bekommen.
Gelbe Augen.
Sie ließen mich nicht aus dem Blick. Sie versuchten, mich zu bannen, und ich versuchte, in ihnen so etwas wie eine Lösung zu entdecken.
Es gab keine Botschaft. Nur die Augen zählten. Sie allein waren die Botschaft, und sie berichtete von etwas Fremdem, das in diesem äußerlich so normalen Vogel steckte.
Angst schien er vor mir nicht zu haben. Er ließ mich näher kommen, ohne dass etwas passierte. Nicht um einen Deut veränderte er seine Haltung. So wie er musste auch ein ausgestopfter Vogel aussehen.
Noch zwei Schritte trennten uns. Mich durchzuckte der Gedanke, meine Beretta zu ziehen, um auf ihn zu schießen. Mich hätte interessiert, was dann passierte und ob er starb wie ein normaler Vogel oder bei ihm noch etwas anderes hinzukam.
Den Vorsatz konnte ich vergessen. Möglicherweise hatte er auch meinen Gedanken erraten, denn er startete so schnell wie möglich. Eine kurzes Zucken seiner Flügel, dann hob er vom Boden ab. Ich sah die heftigen Bewegungen der Schwingen, und er wurde Sekunden später eins mit der Dunkelheit. So war von ihm nur noch das Funkeln seiner gelben Augen zu sehen, das noch recht lange nachschimmerte, dann verschwand, als der Rabe über das nicht zu hohe Hausdach hinwegflog und zunächst mal abgetaucht war.
Freuen konnte ich mich darüber nicht. Ich war fest davon überzeugt, dass er eine Botschaft weitergeben würde. Er würde seinen Artgenossen und auch dem Mondmann berichten, was er hier gesehen hatte, und sie würden sehr schnell die Konsequenzen daraus ziehen.
Als ich mich dem Fenster zudrehte, sah ich Maxine Wells auf die Tür zukommen. Sie ging mit energischen Schritten wie eine Frau, die etwas klarstellen wollte.
In der offenen Tür blieb sie stehen und schaute in meine Richtung. »Was war das denn, John?«
»Ein Vogel.«
»Toll, das habe ich gesehen. Leider sah ich nur seinen Rücken.«
»Er hatte gelbe Augen!«
Maxine konnte nicht überrascht sein. Dennoch blieb sie stehen und hielt ihre Augen für eine Weile geschlossen.
»Dann haben sie uns gefunden.«
Ich ging auf Maxine zu. »Ja, das haben sie. Mal ehrlich, Max, hast du etwas anderes erwartet?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das habe ich nicht. Es musste ja so kommen. Sie sind verdammt stark. In ihnen steckt eine Kraft, die uns Menschen über ist.« Sie deutete gegen den Himmel und wies auf die Sichel. »Seine ist es.«
»Kein Widerspruch, Max.«
»Und wieso? Du bist doch auch jemand, der immer nach den Gründen fragen muss.«
»Das tue ich auch jetzt. Ich kann dir die Lösung nicht bieten. Da müssten wir den Mondmann selbst fragen, und auf ihn warte ich. Er wird noch kommen.«
»Das glaube ich auch. Wir haben noch ein paar Stunden vor uns.« Maxine lehnte sich an mich. »Aber ich mache mir auch wahnsinnige Sorgen um Carlotta.«
»Ich nicht weniger.«
»Kann sie es überhaupt schaffen? Wird sie eine Konfrontation mit dem Mondmann durchstehen? Ich habe da meine berechtigten Zweifel, wenn ich ehrlich bin.«
Was sollte ich ihr sagen? Ich dachte ja ähnlich und fragte mich auch, ob es richtig gewesen war, hier nach Dundee zu fahren. Alles, was ich ihr jetzt als Trost sagen würde, wäre irgendwie falsch und ohne Überzeugung gewesen.
Mein Blick schweifte wieder über den dunklen Himmel hinweg. Auch dort bekam ich keine Antwort, die mich der Wahrheit näher gebracht hätte.
Mir kam das Licht der Sterne nur noch kälter vor, und auch die Sichel erinnerte mich an einen Feind.
»Okay, John, wir können es nicht ändern.« Sie schob sich wieder von mir weg. »Ich gehe ins Haus und kümmere mich um Casey Marwood. Die Sorge um seine Frau frisst ihn fast auf.«
»Dann bleibe ich noch.«
»Du willst die anderen Raben sehen?«
»Sicher, ich glaube nicht, dass es bei dem Besuch eines einzelnen Tieres bleibt.«
»Bestimmt.« Sie lächelte mir knapp zu und ging dann
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