Der Mondscheingarten
Garderobiere.
»Wohin soll ich kommen?« Er hat doch hoffentlich nicht schon wieder ein Engagement hier aufgetan, setzte Rose in Gedanken hinzu. Das Einzige, was sie wollte, war von hier wegzukommen, fort von dem unerträglichen Warten auf Pauls Rückkehr. Sie musste sich ablenken, die Welt sehen. Nur so würde sie die Zeit ertragen, bis sie endlich wieder in Pauls Armen liegen konnte.
»Zum Hafen. Es hat einen Unfall gegeben.« Mai presste sich die Hand auf den Mund, als hätte sie damit schon zu viel gesagt. Rose starrte sie einen Moment lang an, schoss dann wie ein Raubvogel auf sie zu und packte sie an den Schultern.
»Was ist passiert?«, schrie Rose, voller Angst, dass der Unfall Paul gegolten haben könnte. Paul, der es sich vielleicht überlegt hatte und zurückgekehrt war.
Mai starrte sie entsetzt an. Da sie nicht antwortete, schüttelte Rose sie kurzerhand. »Sag mir, was ist los?«
»Ihr Vater, Miss …«, presste Mai schließlich hervor.
Rose ließ sie wieder los und wich von ihr zurück. Dann stürzte sie zur Tür.
Mit wehendem Haar, ohne Rücksicht darauf, dass ihre Kleider schief saßen und ihre Schminke verlaufen war, hastete Rose durch die Straßen von Padang. Mai war ihr gefolgt, doch Rose hatte ihre Dienerin unterwegs abgehängt. Das war auch besser so, denn Rose brauchte in diesem Augenblick ihre Hilfe nicht.
Während ihr Herzschlag sämtliche Geräusche um sie herum übertönte, versuchte sie, sich einzureden, dass es schon nicht so schlimm sei, dass ihr Vater, sobald sie um die Ecke bog, ihr entgegenkommen und darüber lachen würde, dass sie sich Sorgen gemacht hatte.
Am Hafen angekommen, stieß sie schon bald auf die Menschenmenge, die sich um einen umgestürzten Lastkran scharte. Hafenarbeiter bemühten sich, mit Seilen und anderen Gerätschaften zum Ort des Geschehens zu kommen.
»Lasst mich durch!«, rief Rose den Leuten aufgeregt in ihrer Muttersprache und auf Niederländisch zu. Diejenigen, die sie kannten, wichen sogleich zurück. Rose versuchte, die entsetzten Blicke zu ignorieren. Wo war ihr Vater bloß? Dass sie gerufen worden war, hieß, dass er verletzt sein musste. Doch er hatte sicher nur ein paar Kratzer abbekommen. Einen Mann wie Roger Gallway bekam doch nichts und niemand klein …
Am Lastkran angekommen, sah sie, dass zahlreiche Männer damit beschäftigt waren, das schwere Gebilde zu heben. Es war auf die Straße gestürzt, hatte einige Kisten und ein kleines Holzhäuschen unter sich begraben. Schreie und Gewimmer waren zu vernehmen. Einige Frauen in der Menge weinten. Ein unangenehmer Geruch stieg langsam vom Boden auf.
Rose starrte den Kran an, als sei er ein Monstrum. Sie versagte sich, den Gedanken, der sie wie ein Tiger ansprang, zu Ende zu denken. Ihm ist nicht viel geschehen, versuchte sie sich einzureden. Sicher wird er bald wieder auf den Beinen sein.
So versunken wie sie in den Anblick des Krans war, bemerkte sie den Mann, der mit langen Schritten auf sie zukam, erst, als er direkt neben ihr stand.
Dr. Bruns, der ihrer Familie schon oft geholfen hatte, packte sie am Arm. Rose wurde übel, als sie das Blut an seinen Armen und den Ärmelaufschlägen sah.
»Kommen Sie bitte nicht näher, Rose«, sagte er, denn er kannte sie schon von Kindesbeinen an und hatte es nie über sich bringen können, Sie Mejuffrouw Gallway zu nennen. »Ihr Vater ist mit ein paar Arbeitern unter dem Kran begraben worden.«
»Aber sie können ihn doch sicher retten!«, sprudelte es aus Rose heraus, während es in ihren Ohren rauschte und sie Mühe hatte, zu verstehen, was der Arzt sagte. »Sie können es doch, oder, Doktor?«
Bruns’ ohnehin schon blasses Gesicht wurde noch eine Spur heller, als er beschämt den Kopf senkte.
»Sie haben Ihren Vater bereits geborgen. Leider konnte ich nichts mehr für ihn tun.«
Rose prallte entsetzt zurück. Ihr Mund öffnete sich, doch sie brachte keinen Schrei zustande. Nein, schrie alles in ihr. Das kann nicht sein! Das darf nicht sein!
»Ich will ihn sehen!«, presste sie schließlich hervor. »Vielleicht ist es ein Irrtum, vielleicht ist er es nicht …«
»Rose«, sagte der Arzt langgezogen, wie damals, als er sie dazu überreden musste, die Medikamente gegen das Fieber zu schlucken, das sie als Kind heimgesucht hatte. »Es tut mir leid, aber es gibt keinen Zweifel, dass es sich um Ihren Vater handelt. Und ich halte es für keine gute Idee, dass Sie ihn jetzt sehen.«
Der Nachdruck, mit dem er das sagte, ließ Roses Gegenwehr
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