Der Mondscheingarten
empfand, war nicht nur Sympathie. Zeigen wollte sie das aber nicht. Wer weiß, ob er mich überhaupt will, dachte sie. Und da war auch noch ein leichter Anflug von schlechtem Gewissen gegenüber Peter. Warten wir es ab, sagte sie sich. Erst einmal möchte ich ihn wiedersehen.
Ein leichtes Raunen zog durch die Baumkronen über ihnen, ansonsten war alles still. Ellen atmete tief durch und lächelte dann in sich hinein. »Wenn man es genau nimmt, will ich gar nicht den ganzen Winter in Italien verbringen. Es gibt keinen schöneren Platz auf der Welt als zu Hause, nicht wahr?«
»Da hast du recht«, entgegnete Lilly, wenngleich sie sich nicht sicher war, ob sie sich wirklich auf die Rückkehr nach Berlin freuen sollte, denn das würde sie ja nur fortbringen von Gabriel und der Gelegenheit, ihn näher kennenzulernen.
»Was hältst du davon, wenn wir heute Abend wieder zusammen kochen?«, fragte Lilly und hakte sich bei ihrer Freundin ein, während beide die Koffer über den Weg zogen.
»Meinetwegen gern. Dean wird sich freuen, wenn er hört, dass jetzt jemand versucht, einen Code aus dem Notenblatt zu lesen.«
Sie hatte gerade mit dem Auspacken begonnen, als das Telefon klingelte. In der Annahme, es sei ein Anruf aus dem Büro, gab Lilly nicht viel darauf und machte ungerührt weiter, bis Schritte den Gang hinaufkamen und vor ihrer Tür haltmachten.
Nachdem sie einmal geklopft hatte, trat Ellen ein. Auf ihrer Miene lag ein vielsagendes Lächeln, als sie flüsterte: »Für dich!«
Lilly schnappte nach Luft, nahm das Telefon und meldete sich.
»Na, wieder da?«, fragte Gabriel Thornton.
»Wie Sie hören«, gab Lilly zurück und blickte zu Ellen, die gerade aus dem Zimmer schlich. Sie blickte sich kurz um, grinste Lilly an und zog dann die Tür hinter sich zu.
»Ich hoffe, Sie konnten etwas mit den Daten anfangen«, sagte Gabriel inzwischen.
»Sehr viel sogar, Sie waren eine sehr große Hilfe! Wir haben einige Artikel gefunden, und ich hoffe, dass Sie die noch nicht haben.«
»Ich sagte Ihnen ja schon, dass wir im Zweiten Weltkrieg sehr viel Material verloren haben. Ich bin sicher, dass das, was Sie gefunden haben, eine große Bereicherung sein wird.«
Lilly zögerte einen Moment, dann sagte sie: »In Cremona hatte ich einen seltsamen Traum.«
»Etwa von mir?«, scherzte Gabriel lachend.
»Nein, von Helen. Von Helen als Kind … Glauben Sie, dass in Notenblättern ein Code festgehalten werden kann?«
»Ein Code?«
»Na ja, es war ja eigentlich nur ein Traum, aber vielleicht wollte mir mein Unterbewusstsein etwas sagen. Es muss doch einen Grund geben, warum dieses eine Notenblatt im Futteral steckte. Die Helen in meinem Traum meint, dass sich die Lösung des Geheimnisses im ›Mondscheingarten‹ befindet.«
Stille folgte ihren Worten. War Gabriel überhaupt noch dran? Amüsierte er sich vielleicht über sie? In ihrer Magengrube brannte es plötzlich. Vielleicht hätte sie lieber nichts sagen sollen …
»Gabriel?«, fragte sie zögerlich, dann hörte sie seine Stimme.
»Ja, ich bin noch dran. Ich denke nur nach.«
»Es ist sicher unwahrscheinlich, nicht wahr?«
»Das würde ich nicht sagen. Es ist vorgekommen, dass geheime Botschaften in Musikstücken verborgen wurden. Möglichweise steckt etwas Vergleichbares auch im ›Mondscheingarten‹ … Wenn das stimmt, dann war eine der beiden Frauen, entweder Helen oder Rose, ein wirkliches Genie. Wenn sie es denn selbst komponiert hat …«
»Ellens Bekannter hat einen Freund, der sich mit Codes auskennt. Vielleicht kann er irgendwas zutage fördern. Wenn Sie …«
»Ich kenne mich mit Codes leider nicht aus und habe auch keine Freunde beim Geheimdienst, aber dennoch werde ich mir das Notenblatt noch ein bisschen näher ansehen. Vielleicht erschließt sich einem das Geheimnis, wenn man nur lange genug draufblickt …«
Lilly lächelte ihr Spiegelbild im Fenster an. Gabriel war wirklich wunderbar.
»Vielen Dank«, sagte sie leise.
»Nichts zu danken, Lilly. Wir ziehen doch beide an einem Strang, nicht wahr?«
»Das schon, aber genauso gut hätten Sie mich für verrückt halten können. Wer glaubt heutzutage noch an Träume?«
»Sie!«, antwortete er. »Und wenn ich ehrlich bin, ich auch. Was wäre das Leben ohne Träume – und Geheimnisse?«
»Und was ist mit Ihren Neuigkeiten?«, fragte Lilly, die ihre Wange nun an der Fensterscheibe kühlte.
»Nun, was das angeht, sollten wir beide von Angesicht zu Angesicht miteinander
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