Der Mondscheingarten
sich allerdings recht schwierig, denn viele von ihnen hatten einen massiven Wasserschaden erlitten und waren anschließend nicht fachmännisch getrocknet worden.
Obwohl Lilly nicht viel Ahnung von Buchrestauration hatte, tat ihr das Herz weh angesichts der verklebten Seiten. Das hier waren wertvolle Zeitdokumente, die zwar aufbewahrt, aber nicht aufgearbeitet wurden!
»Das sieht wirklich nicht gut aus«, bemerkte Verheugen nach einem kurzen Blick. »Ich hätte wohl doch mein Besteck mitnehmen sollen, mit Skalpell und Pinzette kann man vielleicht einige der Seiten trennen, ohne dass sie gleich zerreißen.«
Dennoch machten sie sich vorsichtig an die Arbeit. Zunächst sahen sie nur die Kirchenbücher durch, dann, als sie fürs Erste genug hatten, wandten sie sich den eingebundenen Zeitungen zu, die sich zwar in wesentlich besserem Zustand befanden, aber weitestgehend in Niederländisch verfasst waren.
»Wenn Sie etwas finden, das Ihnen wegen des Namens oder eines Bildes interessant erscheint, geben Sie es mir ruhig rüber, dann übersetze ich es Ihnen.«
Der Geruch alten Papiers, das teilweise von Stockflecken verunziert wurde, wallte zu ihnen auf, als sie sich durch die Seiten blätterten. Dick waren die einzelnen Zeitungen nicht gewesen, die meisten Ausgaben bestanden aus acht Seiten, von denen eine Seite von Reklame für Haushaltsgegenstände, Seife, Bartpomade und Strumpfhalter für Männer eingenommen wurde.
Lilly überflog den Text auf der Suche nach einem Namen, den sie kannte. Sie betrachtete die Bilder, die sehr alte Aufnahmen des kolonialen Padang zeigten, aber hin und wieder auch Abbildungen von Zuckerrohr- und Tabakplantagen. Hin und wieder waren Familien abgebildet, aber Rose Gallway entdeckte Lilly nicht.
»Vielleich habe ich etwas für Sie«, merkte Verheugen nach einer Weile an, dann drehte er das Buch herum und deutete auf einen Namen, der sich inmitten eines für sie völlig unverständlichen Textes befand.
»Schreibt sich Ihre Geigerin vielleicht so?«, fragte der Zahnarzt, worauf Lilly nickte und dabei gleichzeitig einen Funken Hoffnung verspürte.
»Bitte lesen Sie vor, was da steht!«, bat Lilly, während sie den Blick auf ein Foto richtete. Es sah darauf aus, als sei etwas eingestürzt …
»Am vergangenen Montag kam es in der Nähe des Hafens zu einem bedauerlichen Unfall. Ein unzureichend gesicherter Lastkran stürzte in eine Gruppe von Arbeitern, die gerade von ihrem Vorgesetzten, Mijnheer Gallway, eingewiesen wurden. Es gab drei Todesopfer zu beklagen, unter anderem Mijnheer Gallway, der seine Frau und seine Tochter Rose, die berühmte Violinistin, die vor kurzem einige Auftritte in ihrer Heimatstadt absolviert hat, zurücklässt.«
Roses Vater war also einem Unfall zum Opfer gefallen! Lilly war fassungslos. Wie mochte es Rose und ihrer Mutter danach ergangen sein? Sie selbst hatte nach Peters Tod das Gefühl gehabt, jemand hätte ihr die Seele aus dem Leib gerissen.
»Es muss eine ganz furchtbare Zeit für sie gewesen sein«, bemerkte sie tonlos und zwang sich dazu, nicht an ihre eigene furchtbare Zeit zu denken.
»Für wen ist es das nicht, wenn man einen geliebten Menschen verliert?« Auch Verheugen schien da seine Erfahrungen gemacht zu haben, wie die tiefe Furche über der Nasenwurzel verriet. »Sieht ganz so aus, als hätten Sie das noch nicht gewusst.«
»Nein, das weiß nicht mal der Leiter der Musikschule, auf die Rose Gallway gegangen ist.«
»Nun, es ist ziemlich lange her, die Zeitung ist von 1902. Und es ist in einem anderen Land passiert. Wie sollte er davon wissen?«
»Da haben Sie recht, auf Sumatra hatte er noch nicht nachgeforscht.«
Lilly betrachtete den Artikel eine Weile, und es tat ihr leid, dass sie kein Niederländisch beherrschte.
»Da steht doch, dass Rose zur selben Zeit einige Auftritte in Padang absolviert hat«, erklärte Verheugen. »Vielleicht findet sich darüber ja etwas in früheren Ausgaben.«
Wieder blätterten sie, und tatsächlich förderte der Zahnarzt aus seinem Folianten noch elf weitere Artikel zutage.
Da die Zeitungen in umgekehrter Reihenfolge zusammengebunden waren, betrachtete Lilly die Ausschnitte von hinten nach vorn.
Die beiden Bilder des ersten Artikels waren besonders schön. Sie zeigten zum einen Rose, die zwischen dem Gouverneur und anderen Männern in Frack und Gehrock stand und beinahe schüchtern in die Kamera lächelte. Die zweite Aufnahme zeigte die hintere Terrasse des Hauses, von der aus man auf eine etwas
Weitere Kostenlose Bücher