Der Mondscheingarten
Haus strahlte trotz allem Wärme aus. Vielleicht bildete sie es sich nur ein, aber es war, als würde es sich freuen, endlich wieder bemerkt und von Fremden besucht zu werden – wie damals, als sein alter Herr noch lebte.
»Das hier muss die Bibliothek sein.« Verheugen deutete auf die offenstehende Flügeltür, von der die weiße Farbe herunterrieselte. Dahinter kam ein Raum zum Vorschein, der groß genug war, um selbst als Ballsaal zu dienen.
Eigentlich erkannte man nicht mehr, dass dieser Raum früher als Hort der Bildung und Unterhaltung gedient hatte. Bücherregale gab es nicht mehr. Dafür stand ein Haufen Kisten auf dem Boden herum. Die Luft war erfüllt von feuchtem Muff, und es hätte sie nicht verwundert, wenn sich vor ihnen eine fette tropische Spinne abgeseilt hätte.
»Du meine Güte!«, entfuhr es Lilly, als sie die unordentlich gestapelten Papiere und Bücher sah. Die Pappe der Kisten hatte der Feuchtigkeit hier Tribut gezollt, lange Risse klafften wie Mäuler in den Seiten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Kisten nachgaben und den Inhalt über den ebenfalls völlig verdreckten Boden verteilten.
»Es ist wirklich ein Jammer, dass sich niemand für dieses Haus interessiert«, sagte Verheugen. »Ich sollte in der Heimat mal ein paar Leute ansprechen, die genug Geld hätten, um sich das Gebäude zu kaufen.«
»Glauben Sie, die Regierung würde das so einfach zulassen?«
»Sicher. Und wenn es eine Stiftung kaufen würde, wäre es noch besser. Andererseits würde es auch ein wunderbares Hotel abgeben. Dass noch niemand diese Möglichkeit erkannt hat!«
»Die Menschen hier haben sicher andere Dinge zu tun, als sich um den Wochenendsitz ihres früheren Unterdrückers zu kümmern. Und selbst wenn sie das nicht so sehen, gibt es wahrscheinlich dringlichere Probleme.«
»Da haben Sie auch wieder recht. – Lassen Sie uns nachsehen, welche Schätze sich hier verbergen.«
»In Ordnung. Ich schlage vor, dass Sie an der rechten Seite beginnen und ich an der linken. Dann arbeiten wir uns langsam aufeinander zu.«
Der Zahnarzt nickte, dann fingen sie an.
Skeptisch blickte Lilly in die erste Kiste.
Es befanden sich nur irgendwelche Rechnungen aus den 40er Jahren darin. Diese hatten mittlerweile keinen Wert mehr, entweder waren die Forderungen längst beglichen oder längst vergessen, die Firmen, mit denen hier abgerechnet wurde, gab es nicht mehr. Auf dem Boden dieser Kiste stieß Lilly auf Schimmel, was sie dazu brachte, ihre Hände schnell wieder zurückzuziehen. In der nächsten Kiste sah es nicht viel besser aus. Rechnungen, Lieferscheine, Reste alter Schulhefte, auf deren Deckeln die Namen längst unlesbar waren. Eine unattraktive Kinderschrift, der man anmerkte, wie ungern sich ihr Besitzer mit Algebra beschäftigt hatte. Darunter noch ein paar Schulbücher in niederländischer Sprache. Sicher für den einen oder anderen interessant, aber für sie vollkommen wertlos.
»Haben Sie schon etwas gefunden?«, erkundigte sie sich in Verheugens Richtung.
»Nein, alles nur Plunder. Offenbar hat man vergessen, das hier zu verbrennen, und hält es nun für wertvoll. Und bei Ihnen?«
»Genau dasselbe. Kennen Sie vielleicht jemanden, der Verwendung für verwässerte alte Schulbücher hat?«
»Nein, und ich schlage vor, dass wir sie hierlassen.«
»Gute Idee!«, pflichtete Lilly ihm bei. Sie wollte auch schon die dritte Kiste aufgeben, als sie unter einem weiteren gammeligen Rechnungsblatt auf dickes braunes Leder stieß.
»Das gibt’s nicht!«, raunte sie so leise, dass der Zahnarzt sie offenbar nicht hörte, und zog das Fotoalbum hervor. Es war in dickes, geprägtes Leder eingebunden und ziemlich schwer, was nicht verwunderte, denn es enthielt sehr viele Fotografien, entweder auf Papier oder feinen Bleiplatten. Ehrfürchtig schlug Lilly es auf und blickte in die Gesichter des Gouverneurs und seines Hausstandes. Neben seiner Frau und seiner Tochter waren auch sämtliche Bedienstete zu sehen. Dienstmädchen mit gestärkten Schürzen und Hauben, ein Butler mit strengem Blick, eine Köchin, und wenn Lilly die Art der Schürze richtig deutete, zwei Hausdiener und zwei Pferdeknechte. Auffällig war, dass sämtliche Bedienstete Einheimische waren – und sie wirkten nicht so, als hätte ihr Dienstherr sie schlecht behandelt.
Die nächsten Fotos zeigten die Einrichtung des Hauses und den Blick aus den Fenstern. Die Terrasse zum Garten erschien darunter ebenfalls, außerdem der Garten selbst, der eine
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