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Der Mondscheingarten

Der Mondscheingarten

Titel: Der Mondscheingarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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dann eher etwas für die Leute im Museum.«
    »Stimmt, aber wir sollten dennoch weitersuchen. Vielleicht finden wir ja noch ein Kirchenbuch oder etwas anderes. Möglicherweise sind hier auch glühende Liebesbriefe vergessen worden.« Verheugen zwinkerte ihr zu. »Ich danke Ihnen, dass ich dabei sein darf, das ist wohl die spannendste Suche, die ich bisher unternommen habe.«
    »Sind Sie sicher?«, entgegnete Lilly ein wenig zurückhaltend. »Sie haben doch bestimmt schon ziemlich viel von der Welt gesehen.«
    »Das schon, aber nie war ich an einer Art Forschungsarbeit beteiligt. Es ist einfach wunderbar, einen Teil Geschichte meines Landes zu entdecken. Sie müssen wissen, dass Sumatra in den Niederlanden immer noch von großem Interesse ist, es gibt sogar Museen darüber. Ich war mal in einem, aber das ist was ganz anderes, als die Geschichte wirklich anfassen zu können.« Er deutete auf die Kiste. »Es macht jedenfalls großen Spaß, und ich bin sehr froh, dass ich Sie im Flugzeug angesprochen habe.«
    Meinte er das ernst? Natürlich machte es Spaß, die Kisten zu durchsuchen, aber war seine Reaktion nicht ein bisschen viel?
    Vermutlich nicht, dachte Lilly. Offenbar ist das seine Art.
    »Ich bin ebenfalls froh, Sie kennengelernt zu haben«, entgegnete sie und lächelte nun. »Ich weiß nicht, ob ich ohne Sie so weit gekommen wäre.«
    »Natürlich wären Sie das!«, entgegnete Verheugen, doch es schien ihn sichtlich zu freuen, dass sie seinen Einsatz zu würdigen wusste. »Dann lassen Sie uns schauen, ob wir noch mehr finden, bevor es dunkel wird. Ich glaube nicht, dass es die Elektrizität bis hierher geschafft hat, und der Wächter möchte bestimmt auch mal Feierabend machen.«
    Lilly stimmte ihm lachend zu und machte sich wieder an die Arbeit. Allerdings bohrte jetzt die Ungeduld in ihrer Magengrube. Egal, was kam, sie würde in dieser Nacht erst einmal lesen, welche Schuld Rose mit ihrem Tagebuch sühnen wollte.

26

    Padang 1910

    Einen Monat nach dem Beben normalisierte sich das Leben in Padang allmählich. Das Meer rauschte wieder, der Wind sang, und von den Bergen her tönten die Rufe der Affen in die Stadt.
    Die Bewohner hatten die Trümmer fortgeschafft und die Toten begraben. Teilweise hatte man nicht mehr erkennen können, wer sie waren, also stellte man ihnen ein leeres Kreuz aufs Grab und hoffte, dass sich irgendwann jemand melden würde, der sie vermisste oder zumindest kannte.
    Helen übte verbissen auf ihrer Geige und ließ sie keinen Augenblick aus den Augen. Selbst zu den Mahlzeiten, zum Unterricht und beim Zubettgehen war sie an ihrer Seite. Wenn sie einen Moment lang nichts zu tun hatte, holte sie das Instrument hervor und spielte dann Lieder, die Miss Hadeland ihr nicht beibrachte, einfache Lieder, die für sie aber umso hübscher klangen.
    Manchmal bemerkte Helen, dass ihre Mutter sie sorgenvoll ansah, doch sie sagte nichts.
    Eines Tages erschien Ivy Carter im Übungszimmer. Bei sich hatte sie eine Frau, die Helen uralt vorkam. Ihr schlohweißes Haar war zu einem Dutt zusammengesteckt, ihr hagerer Körper steckte in einem schwarzen Kleid, das sie noch magerer aussehen ließ. Ihr Gesicht wirkte so kantig, als hätte das Leben ihr sämtliche Rundungen abgeschliffen, und die Nase ragte wie ein Vogelschnabel aus ihrem Gesicht.
    »Helen, ich möchte dir Mrs Faraday vorstellen«, sagte ihre Mutter. »Sie ist zufällig in Padang, um sich die Schülerinnen von Mejuffrouw Dalebreek anzuschauen. Dabei hat sie auch von dir gehört und möchte nun, dass du ihr etwas vorspielst.«
    Die Frau betrachtete Helen mit stechendem Blick. Helen wagte nicht, wegzusehen, aber anschauen konnte sie sie auch nicht. Also konzentrierte sie sich auf die in Gold gefasste Gemme, die die Alte am Kragen ihres Kleides trug.
    »Mrs Faraday, es ist mir eine große Ehre …«, begann Miss Hadeland, doch die alte Frau, die den Blick nicht von dem Mädchen ließ, hob die Hand und brachte sie so zum Schweigen.
    Während Helen den Blick weiterhin auf die Brosche gerichtet ließ, näherte sich die Alte nun.
    »Wie alt bist du, Kind?«, fragte sie mit schneidender Stimme, die an den Klang einer schlecht gestimmten Geige erinnerte. Ihre krallenartige Hand streckte sich nach dem Kinn des Mädchens aus, und wenig später legten sich kalte Finger auf ihre Haut.
    »Acht Jahre, Madam«, antwortete Helen so höflich wie möglich, denn sie wollte diese vogelartige Alte nicht verärgern. Das Bild, das sie von einer Hexe hatte, war zwar ein

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