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Der Mondscheingarten

Der Mondscheingarten

Titel: Der Mondscheingarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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Diese wiegte den Kopf kurz, dann lächelte sie und sagte etwas.
    »Wie es aussieht, kennt Indah sie tatsächlich. Sie sagt, dass die Ahnenmutter Adit im Dorf regierte, als sie geboren wurde. Damals muss sie so Ende siebzig gewesen sein.«
    Roses Wangen begannen zu glühen. »Das ist ja wundervoll! Können Sie sie bitte fragen, wie Adit so war? Warum sie zurück ins Dorf gegangen ist?«
    Auf ihre Frage erfuhr Lilly, dass Adit eine sehr strenge, aber gute Stammmutter gewesen war, die man lange bitten musste, ihre Pflichten zu übernehmen. Doch als sie sie schließlich übernahm, versah sie sie mit großer Gewissenhaftigkeit und sorgte dafür, dass der Reichtum ihrer Sippe größer wurde.
    »Es wurde erzählt, dass sie eine Reise nach London gemacht hat, um ihre Enkeltochter zu suchen«, übersetzte Setiawan. »Sie fand sie auch, doch ebenso wie sie selbst einst, weigerte sich die junge Frau, mit ihr zu kommen. Später dann aber erhielt Adit Briefe von ihr, die Enkelin versprach, zu ihr zu kommen. Leider wurde nichts daraus, weil sie mit ihrer Familie während des Krieges umkam.«
    Damit hatte Lilly endlich den Anschluss an das, was Ga­briel schon über Helen Carter wusste. Der Grund, weshalb die Musikerin, die eigentlich in London lebte, nach Sumatra fahren wollte, war die Mutter von Rose. Damit schloss sich der Kreis, und Lilly hatte nun die Gewissheit, dass Helen gewusst hatte, wer ihre Mutter war.
    Etwas später stand Lilly drei Terrassen hoch über dem Garten und erinnerte sich an die Melodie des »Mondscheingartens«. Wenn Rose das Stück komponiert hatte, konnte sie dabei nur diesen Ort im Sinn gehabt haben.
    Der Garten vor ihr war nicht das Werk von Menschenhand wie beim Gouverneurshaus. Hier hatte die Natur selbst ein perfekt abgestimmtes Gleichgewicht geschaffen. Dieser Garten verfügte über Bäume und Sträucher, über Blumen und Gräser und strahlte in allen erdenklichen Farben. Kein Feengarten im Märchen hätte schöner sein können.
    Wie oft mochte Rose wohl hier gestanden und ihn betrachtet haben? Wie oft mochte sie zwischen den Blumen umhergelaufen sein? Es war ein Jammer, dass Adit tot war und Lilly nichts über Rose erzählen konnte. Aber in diesem Augenblick fühlte sie sich Rose merkwürdig nahe.
    Vielleicht sollte ich mir den Garten auch noch einmal im Mondschein ansehen, nahm sie sich vor und machte ein paar Fotos, damit sie Ellen zeigen konnte, wie wunderbar er war.
    Sie war gerade auf dem Weg zurück ins Dorf, als Verheugen und Setiawan ihr entgegenkamen.
    »Wir haben Sie schon gesucht!«, rief der Zahnarzt und winkte.
    »Ich habe mir den Garten mal von oben angeschaut«, berichtete Lilly. »Ein grandioser Anblick. Schade, dass ich ihn nicht im Mondlicht sehen kann.«
    »Ich schicke Ihnen ein Foto. Und vielleicht kommen Sie noch einmal hierher und sehen sich alles in Ruhe an.« Verheugen lächelte ihr aufmunternd zu. »Aber jetzt sollten Sie kommen, Indah wäre zutiefst gekränkt, wenn Sie vor der Abreise nicht noch eine gute Mahlzeit bekämen.«

29

    London 1920
    Die Tage nach dem Unfall verschwammen im Delirium. Hin und wieder hatte Helen einen wachen Moment, in dem sie mitbekam, dass sie sich im Krankenhaus befand und dass sie Schmerzen hatte. Doch dann griff die Bewusstlosigkeit wieder nach ihr und zerrte sie ins Reich wirrer Träume. Sie sah ein Dorf vor sich, von dem sie wusste, dass sie dort nie gewesen war. Seltsame spitzgiebelige Dächer, die an Büffelhörner erinnerten, ragten in den Himmel.
    Nach drei Wochen im Dämmerzustand wurden ihre Gedanken klarer, und sie begann, ihren Körper wieder zu spüren. Die Ärzte sprachen sie nun an, versuchten, mit ihr zu reden. Ihr fiel es zunächst schwer, Antworten zu geben, denn ihre Zunge schien ihrem Verstand nicht folgen zu können. Als die Ärzte das bemerkten, erklärten sie ihr, dass dies das Opium war, das man ihr verabreichte, um die Schmerzen ihrer Brüche zu lindern.
    Das Letzte, woran sich Helen beim Erwachen erinnern konnte, waren die Lichter des Busses, der auf sie zugerast kam, und ein furchtbares Hupen, der schlimmste Misston, den sie je zu hören bekommen hatte. Alles danach war ein Wechsel von Licht und Schatten, von Hitze und Kälte, von Schweigen und dumpfen Geräuschen.
    Als sich ihr Augenlicht zum ersten Mal wieder richtig klärte, blickte sie auf ein Metallgestänge über sich. Zunächst war ihr Geist noch zu träge, um zu wissen, wo sie sich befand, doch dann realisierte sie, wo sie war, und sie bemerkte auch, dass sie

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