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Der Mondscheingarten

Der Mondscheingarten

Titel: Der Mondscheingarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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»Und ich mache mir große Vorwürfe, dass ich nicht für dich da war.«
    »Sie?«
    »Ich bin Roses Mutter, Adit. Nach dem Tod meines Mannes bin ich in mein Dorf zurückgekehrt, um mein Erbe anzutreten. Das Erbe meiner Ahnen. Zu spät habe ich erfahren, was mit Rose passiert ist.«
    Sie seufzte schwer und strich liebevoll mit dem Daumen über die Platte. »Ich hatte darauf gehofft, dass sie mich finden würde, dass sie sich in Not mir anvertrauen würde. Aber dazu war sie offenbar zu stolz. Erst später habe ich erfahren, was geschehen ist. Dass sie geheiratet hatte und unter den Toten des Erdbebens war. Und dass sie eine Tochter hatte, die bei Fremden aufwuchs.«
    Helen schüttelte ungläubig den Kopf. Nein, das alles hatte nichts mit ihr zu tun! Die alte Frau redete wirr, vielleicht wollte sie nur Geld.
    »Du glaubst mir nicht«, stellte die Alte fest. »Ich habe auch nicht erwartet, dass du das tust. Aber ich bin alt und werde bald sterben. Andere Töchter als Rose hatte ich nicht. Du bist meine Enkelin, Helen. Und es liegt bei dir, ob unsere Mutterlinie ausstirbt oder erhalten bleibt.«
    Mutterlinie? Enkelin? Helen schwirrte der Kopf. Was sollte das alles? Ihre Mutter war doch …
    Auf einmal hatte sie das Gesicht der Fremden wieder vor sich. Bernsteinfarbene Augen, die ein wenig exotisch geschnitten waren. Ein kräftiges Kinn, volle Lippen. Die Jahre hatten die Erinnerung an die Fremde getrübt, aber nicht völlig ausgelöscht, und das Foto schärfte ihr inneres Bild nun wieder. Wie schön diese Frau doch gewesen war!
    »Gehen Sie!«, sagte sie und bemerkte selbst nicht, dass ihre Stimme hysterisch durch den Raum hallte. »Lassen Sie mich in Ruhe!«
    Mit einem traurigen Lächeln drehte sich die Alte um und ging …
    Mit einem langen Seufzer kehrte Helen in die Wirklichkeit zurück. Bitterkeit machte sich in ihrem Herzen breit. Verzweiflung. Vielleicht war der Unfall die Strafe des Schicksals, die Strafe dafür, dass sie ihrer Großmutter nicht geglaubt hatte.
    Hatte sie jetzt noch eine andere Wahl als zurückzukehren zu ihren Wurzeln? Das glanzvolle Leben einer Musikerin konnte sie nun nicht mehr führen. Vielleicht würde sie irgendwann einmal wieder spielen können, sie war sicher, dass ihr das gelingen würde, aber das würde dann bestenfalls reichen, um eine Abendgesellschaft zu amüsieren, die anschließend über das tragische Schicksal der ehemals so glanzvollen Helen Carter schwafeln würde. Allein schon der Gedanke drehte ihr den Magen um.
    Bedauernd blickte sie auf den Geigenkasten neben sich, bis Tränen ihn vor ihren Augen verschwimmen ließen. Würde meine Großmutter mich so einem Fluch aussetzen?, fragte sie sich, dann streckte sie ihre weniger verletzte Hand nach dem Kasten aus. Während sie sich bemühte, die Schlösser aufzubekommen, überzog ein Schweißfilm ihre Haut, klebte das Hemd an ihren Bauch und ihren Rücken, doch sie gab nicht auf. Sie hätte eine Schwester rufen können, doch sie wollte sich mit dieser Handlung etwas beweisen. Sich selbst und auch der alten Frau, die ihr Leben so gehörig durcheinandergebracht hatte.
    Als sie den Deckel schließlich angehoben hatte, fühlte sie sich so schwach wie nie zuvor. Ihre Atembewegungen schmerz­ten in ihren Rippen, und ihre halb taube Hand fühlte sich noch tauber an. Doch sie schaffte es, den Hals der Geige zu umklammern und sie aus dem Kasten zu ziehen.
    Wie ein Kind barg sie sie an ihrer Brust und ließ sich dann wieder in die Kissen sinken. Der Gedanke, sie nie wieder zum Klingen bringen zu können, erschien ihr beinahe unerträglich, doch ihr Schmerz und ihre Trauer wurden von Trotz umfangen. Ich werde es schaffen, sagte sie sich. Irgendwie.
    Einige Wochen später wurde Helen entlassen, allerdings nicht nach Hause, sondern in ein Sanatorium in der Schweiz, wo sie sich vom Trauma des Unfalls erholen sollte. Ihr Agent hatte auf die Diagnose des Arztes geschockt reagiert, ihr aber versichert, die Nachricht nicht eher an die Öffentlichkeit zu bringen, bis wirklich feststand, dass der Zustand ihrer Hand unverändert blieb.
    Im Sanatorium hatte Helen ihre Geige dabei und eher zufällig ein Notenblatt unter dem Futter entdeckt. Ein sehr ungewöhnliches Stück, das wahrscheinlich von ihrer Mutter stammte.
    Während sie auf den Garten hinausschaute, hielt sie das Notenblatt fest in der Hand. Welchen Garten mochte ihre Mutter gemeint haben? Stammte das Notenblatt wirklich von ihr?
    Der Kuraufenthalt hatte ihr zwar nicht die Fähigkeit

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