Der Mondscheingarten
persönlich zu spielen. Nein, genaugenommen war das noch besser, denn es war bekannt, dass der Sultan auf der Insel kaum noch Macht hatte. Die einflussreicheren Leute würden beim Gouverneur zu finden sein. Und wer weiß, vielleicht konnte sie ja ein paar Kontakte knüpfen, die sie noch weiter in der Welt herumbrachten. Sie mochte vielleicht Europa und Asien bereist haben, aber ihr Traum war Amerika. Dort zu spielen würde aus ihr wirklich die beste Violinistin der Welt machen.
7
London 2011
Am nächsten Morgen fuhr Lilly mit Ellen in die Stadt, um dort mit der Spurensuche zu beginnen. Während ihre Freundin chauffierte, strich sie abwesend über den Geigenkasten. Wieder hatte sie Ellens Spiel vom Vortag im Ohr. Was für wunderbare Töne sie der Geige entlockt hatte!
»Warum hast du eigentlich das Geigespielen niemals weiterverfolgt?«, sprach sie ihren nächsten Gedanken laut aus. »Als du gestern gespielt hast … Früher war mir nie aufgefallen, dass du so genial spielen kannst.«
»Genial nennst du das?« Ellen schüttelte lachend den Kopf. »Nein, alles, was du gestern gehört hast, war Technik. Blankes Nachahmen von Fingerbewegungen, die ich als Kind gelernt und seitdem nie mehr vergessen habe. Jeder ernstzunehmende Kritiker hätte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und mein Spiel als steifes Gedudel abgetan.«
Das Gefühl hatte Lilly nicht. »In meinen Ohren hat es wunderschön geklungen. Außerdem war es ein vollkommen unbekanntes Stück. Du hast es gespielt, als hättest du es bereits geübt.«
»Es ist wie Radfahren, manche Dinge verlernt man nie«, beharrte Ellen.
Darauf schwiegen sie beide, bis Lilly fragte: »Und du hast wirklich keinen Schimmer, wer die Rosengeige gebaut haben könnte?«
»Nein, ich weiß es beim besten Willen nicht. Der Klang erinnert ein wenig an eine Stradivari, ist aber wesentlich weicher. Ich wüsste keinen mir bekannten Geigenbauer, der solch einen Klang mit seinen Instrumenten zaubern konnte. Aber vielleicht weiß Mr Cavendish etwas.«
»Was macht er eigentlich?«
»Er ist mein Chefkonservator.«
Doch da tauchte auch schon das Institut vor ihnen auf. Ellen fuhr ins Parkhaus unterhalb des Gebäudes und brachte ihren Wagen auf dem für sie reservierten Parkplatz zum Stehen.
Noch nie zuvor war Lilly im Morris Institute gewesen. Dementsprechend aufregend fand sie es, den Arbeitsplatz ihrer Freundin zu betreten.
Der Fahrstuhl brachte sie in den zweiten Stock, moderne Gemälde schmückten die Wände, schlicht gehaltene, aber dennoch teuer anmutende Teppiche die Fußböden.
»Hier empfange ich meine Kunden. In der ersten Etage sind die Restaurationswerkstätten untergebracht.«
»Die würde ich wahnsinnig gern sehen«, sagte Lilly, während sie sich wie ein kleines Mädchen vorkam, das staunend durch ein riesiges Museum lief.
»Das wirst du auch – aber erst mal möchte ich dir mein Büro zeigen.«
Ellen führte Lilly zur hintersten Tür des Ganges. Dort ging es in eine Art Vorzimmer, in dem sie von einem äußerst gepflegten jungen Mann begrüßt wurden.
»Das ist Terence, mein Sekretär. – Terence, das ist meine Freundin, Lilly Kaiser.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen.«
Terence sah nicht nur verdammt gut aus, er hatte auch einen verdammt männlichen Händedruck. Lilly war von den Socken. Wie lange war es her, dass sie solch ein Prachtexemplar von einem Mann gesehen, ja geschweige denn kennengelernt hatte?
»Terence, Sie haben mir doch den Terminkalender für heute Vormittag freigehalten, oder?«
»Aber natürlich, Mrs Morris. Und diesmal ist es mir sogar gelungen, Mr Catrell von Sotheby’s abzuwimmeln. Er will morgen wieder anrufen.«
»Du meine Güte, das werden dann wieder drei Stunden Gespräch«, stöhnte Ellen gespielt. »Vielen Dank, Terence, dass Sie mir das für heute erspart haben!«
Als sie im Büro verschwunden waren, deutete Lilly mit offenstehendem Mund und weit aufgerissenen Augen auf die Tür. »Ich fass es nicht, du leistest dir einen zweiten Markus Schenkenberg als Sekretär?« Als Ellen Terence zum ersten Mal erwähnt hatte, hatte Lilly eher einen älteren Mann mit Ärmelschonern vor Augen gehabt.
»Ja, Terence hat Ähnlichkeit mit ihm, nicht wahr? Wäre ich ledig, würde ich echt auf dumme Gedanken kommen. Aber leider gibt es für mich noch andere Faktoren als meinen Ehering, die eine Beziehung zu ihm verhindern.«
»Du bist seine Chefin.«
»Das wäre eigentlich kein Hinderungsgrund.«
»Okay, er ist
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