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Der Mondscheingarten

Der Mondscheingarten

Titel: Der Mondscheingarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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deutete nach vorn. »Da ist die Bühne.«
    Eigentlich konnte man den Aufbau nicht Bühne nennen. Auf einem Holzpodest, das dazu diente, dass auch weiter entfernte Zuschauer etwas erkennen konnten, war zwischen zwei Pfähle eine große Leinwand gespannt. Diese wurde von der Rückseite durch zahlreiche Lampen beleuchtet, die die Schattenrisse auf den Stoff projizierten.
    Bei ihrer Ankunft hatte das Stück schon begonnen. Auf der Leinwand sah Rose das Schattenbild zahlreicher Bambusrohre sowie die detailliert ausgearbeitete Figur einer jungen Frau, die sich dem stilisierten Wald mit einem Messer in der Hand näherte. Begleitet wurden die Bewegungen der Puppe durch Gamelan-Klänge.
    Unwillkürlich musste Rose breit lächeln, denn hier handelte es sich zweifellos um eines der Märchen, die ihr ihre Mutter immer erzählt hatte.
    Als sie zur Seite blickte, bemerkte sie, dass Paul verwundert die Stirn runzelte. Natürlich verstand er kein Wort, also entschloss sie sich, ihm ein wenig unter die Arme zu greifen.
    »Er spielt das Märchen von der Vergessenen«, erklärte Rose im Flüsterton, damit sie die anderen Zuhörer, die meist aus der Stadt stammten, nicht störte. »Es geht um die letzte von sieben Schwestern, die immer vergessen wird. Sie bekommt auch keinen Bräutigam und muss stattdessen für ihre hartherzigen Schwestern schwer arbeiten – ohne Lohn versteht sich. Doch eines Tages schenkt ein gutherziger Fischer dem Mädchen einen kleinen Fisch mit goldenen Schuppen. Das Mädchen behält den Fisch, doch bald schon kommen die bösen Schwestern dahinter und wollen ihr den Fisch abschwatzen. Als das Mädchen sich weigert, töten die Schwestern ihn.«
    »Was für eine furchtbare Geschichte«, raunte Paul fasziniert. »In England würden Sie damit Scharen von Kindern erschrecken.«
    »Aber sie geht doch noch weiter«, fuhr Rose fort, nachdem sie einen Blick auf die Leinwand geworfen hatte, wo gerade die vergessene Schwester das Glas mit dem Fischlein erhielt. Die Puppen waren überaus fein gearbeitet. »Als sie nach ihrem Fisch sucht, wird sie von ihren Schwestern verspottet, und sie werfen ihr den Fischkopf vor die Füße.«
    Paul schnaubte, doch Rose stieß ihn an, damit er sich eines Kommentars enthielt.
    »Das Mädchen nimmt den Fischkopf, begräbt ihn im Wald und weint ganz bitterlich. Und siehe da, es wächst aus dem Boden ein Baum mit goldenen Blättern und goldenen Früchten. Er strahlt so hell, dass ein vorbeireisender Rajah – bei Ihnen sagt man König – auf die Vergessene aufmerksam wird. Er macht sie zu seiner Frau, und sie pflanzt ihr Bäumchen im Schlossgarten ein. Jahre später kommt es zu einer großen Dürre im Land. Die Büffel der bösen Schwestern verhungern und verdursten, schon bald haben sie nichts mehr zu essen. Da begeben sie sich zum Schloss des Rajahs und treffen dort auf ihre Schwester, und sie flehen sie an, ihnen zu helfen.«
    »Dazu wird sie wohl kaum bereit gewesen sein, nach all der Grausamkeit, die sie erfahren hatte«, setzte Paul hinzu, sichtlich bewegt von der Geschichte.
    »Das mag man meinen, und tatsächlich weist sie ihren Schwestern die Tür und hält ihnen vor, dass sie sie gequält haben. Aber da beginnt das goldene Bäumchen zu singen und bittet die Vergessene, das Leid, das ihre Schwestern über sie gebracht haben, zu vergessen und Gnade walten zu lassen. Daraufhin lässt sie die Schwestern an ihrem Reichtum teilhaben. Die Schwestern sind darüber so beschämt, dass sie nun Tränen echter Reue weinen und um Verzeihung bitten.«
    Rose, die erst jetzt bemerkt hatte, wie nahe sie Paul gekommen war, wich nun wieder ein Stück zurück und blickte nach vorn auf die Bühne, wo die Geschichte der Vergessenen mit Musik und Gesang ihren Fortgang nahm.
    Paul war anscheinend nicht fähig, etwas zu sagen. Wie gebannt blickte er auf die Schattenrisse, als versuchte er zu erkennen, an welchem Teil des Märchens sie nun angekommen waren.
    Erst als das Stück sich seinem Ende zuneigte und das Bäum­chen durch die Klänge des Gamelan zu sprechen begann, regte er sich wieder.
    »Wirklich, eine schöne Geschichte. Meinem Vater hätte sie sehr gefallen.«
    »Und Ihnen?«
    »Mir gefällt sie auch. Und fast bedauere ich …« Er stockte und schien mit sich zu ringen, ob er weitersprechen sollte.
    »Was bedauern Sie?«, fragte Rose.
    »Nichts, es ist nichts …«, erwiderte Paul, obwohl man ihm ansehen konnte, dass er einen Gedanken gehabt hatte. Rose beschloss, nicht nachzufragen. Sie war hier,

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