Der Mondscheingarten
aussah, als stünde es schon seit Jahrhunderten an seinem Platz und jeder neue Besitzer hätte es übernommen. Beeindruckend und verstörend zugleich fand sie ein riesiges modernes Gemälde, das einen Stier zeigte, der offenbar gerade in die Klinge des Toreros gerannt war, grellrote Flecken umgaben seine stilisierte Gestalt. Das Bild hing direkt über dem schneeweißen Sofa, zu dem Enrico sie jetzt führte.
»Kaffee für die Damen?«, fragte er, während er zu der Küchentheke eilte, die zu dem riesigen Wohnzimmer gehörte und die Lilly eher in einem riesigen modernen Loft vermutet hätte.
»Danke, gern«, antwortete Ellen für sie beide.
Wenig später standen drei Espresso vor ihnen auf dem kleinen Beistelltisch, die Enrico mit seiner hochmodernen Kaffeemaschine gezaubert hatte.
»Wie ich sehe, haben Sie die Geige mitgebracht«, wandte sich di Trevi an Lilly, als er sich in dem Ledersessel neben ihr niederließ. »Darf ich einen Blick drauf werfen?«
Bei dem gewinnenden Lächeln, das er ihr schenkte, konnte Lilly gar nicht anders und reichte ihm den Geigenkasten.
Di Trevi ließ die Schlösser aufschnappen und klappte den Deckel auf. Dann weiteten sich seine Augen.
»Das ist eindeutig eine Cremoneser Violine.«
»Die Untersuchung des Lacks hat ergeben, dass die Geige Ende bis Mitte des achtzehnten Jahrhunderts angefertigt wurde. Aber dreh das Baby doch einmal um!«, entgegnete Ellen.
Di Trevi kam ihrem Vorschlag nach und schnappte nach Luft, als hätte er soeben einen Geist gesehen. »Die Rosengeige!«, platzte es aus ihm heraus.
Ellen seufzte tief. »Ich frage mich, warum jedermann in der Welt zu wissen scheint, was für eine Geige das ist – nur ich nicht.«
»Wie kannst du diese Geige nicht kennen?«, entrüstete sich Enrico gespielt. »Die Geige von Rose Gallway!«
Die Erwähnung des Namens schickte einen Feuerschauer durch Lillys Adern.
»Sie wissen etwas über Rose?«, platzte es aus ihr heraus.
»Nicht besonders viel, aber immerhin, dass sie eine der besten Geigerinnen ihrer Zeit war. In Italien war man regelrecht vernarrt in sie.« Er warf einen Blick auf die Geige, und ein beinahe zärtliches Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »Ebenso wie in ihre zweite Besitzerin.«
»Helen Carter.«
Die Trevi nickte. »Ja, Helen. Helen und Rose. Und nun sind Sie die Besitzerin, Lilly. Vielleicht können wir von Ihnen ja ebenfalls musikalische Wunder erwarten.«
»O nein!« Lilly hob abwehrend die Hände. »Nein, nein, ich spiele nicht. Man hat mir die Geige nur übergeben, mir fehlt wirklich jegliches Talent für Musik.«
Di Trevis tiefer Blick in ihre Augen machte sie nervös.
Heimlich wünschte sie sich, dass Gabriel mitgefahren wäre. Dann hätte di Trevi sie sicher nicht so verwirrend angesehen.
»Wirklich? Sie haben so eine schöne Stimme, man könnte meinen, dass Sie eine gute Sängerin abgeben würden.«
»Ich habe eher Ahnung von Antiquitäten«, versuchte Lilly sich auf das Gebiet zu hangeln, auf dem sie sich sicher fühlte. »Ich könnte Ihnen beispielsweise sagen, wie teuer dieses Schränkchen dort drüben wäre.«
»Wirklich?« Di Trevi lächelte sie breit an.
»Du wolltest uns doch was von Rose und Helen erzählen«, schaltete Ellen sich ein, worüber Lilly nicht im Geringsten traurig war, denn irgendwie verwirrte di Trevi sie. »Weißt du zufällig, wo unsere hübsche Miss Gallway abgeblieben ist?«
»Tja, das weiß keiner so genau …« Di Trevi hob ein wenig ratlos die Hände. »Es gab Gerüchte, dass sie vielleicht nach Italien gegangen sein könnte. Aber beweisen konnte das bisher niemand.«
»Und was weiß man hier in Italien über sie?«
»Dass sie ein Wunderkind war und als schöne junge Frau auch den hiesigen Konzertsaal in Unruhe versetzt hat.« Enrico setzte ein hintergründiges Lächeln auf, dann blickte er auf die Uhr. »Ich habe eine Idee. Wie wäre es, wenn wir zum Geigenmuseum gehen? Dort bewahrt man auch einige alte Zeitschriften auf. Vielleicht gewährt man uns trotz des Wochenendes einen Einblick ins Archiv.«
»Sie meinen, dort lagern Informationen über Rose?«, fragte Lilly, deren Wangen jetzt vor Eifer zu glühen begannen.
»Möglicherweise hat man dort ein paar Zeitungsausschnitte aufbewahrt. Über Konzerte wurde in einigen Gazetten ausführlich geschrieben – und wenn die Künstler Pech hatten, wurden sie auch sehr bösartig kritisiert. Allerdings werden wir uns durch so manchen Stapel wühlen müssen.«
»Ich glaube nicht, dass das nötig ist«,
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