Der Mondscheingarten
in ihr drängte plötzlich darauf, aus der Stadt fortzukommen, denn man konnte nie wissen, ob Carmichael nicht doch …
»Dann können wir in der Tat los. Ich hoffe, Sie sitzen nicht zum ersten Mal auf einem Pferd.«
Rose schüttelte den Kopf. »Nein, mein Vater hat mir das Reiten beigebracht. Kann sein, dass ich etwas eingerostet bin, aber wenn ich erst mal wieder im Sattel sitze, wird sich die Gewohnheit sicher rasch einstellen.«
Nachdem sie die Stadt hinter sich gelassen hatten, breitete sich in Rose eine tiefe Erleichterung aus. Bis zuletzt hatte sie gefürchtet, dass Carmichael auftauchen, die Wahrheit erkennen und sie dann vom Pferd zerren würde. Das war nicht geschehen, und nun umfing sie die grüne Pracht des Dschungels mit seinem Vogelgezwitscher und den Affenrufen.
»Ihnen scheint es wirklich nichts auszumachen, hier draußen zu sein«, bemerkte Paul, als er sein Pferd neben sie lenkte. Der Führer ritt ein Stück voraus, doch Rose wusste genau, dass auf diesen Wegen nur wenig Gefahr lauerte. Die Tiger befanden sich tiefer im Dschungel, nur alte Exemplare, die zu schwach zum Jagen waren, wagten sich in die Nähe der Menschen. Schlangen und Spinnen wurden vom Hufgetrappel verscheucht, und die friedfertigen Orang-Utans taten den Reisenden ebenso wenig wie die zahlreichen kleineren Affen und Meerkatzen. Dafür konnte der aufmerksame Beobachter prachtvolle Vögel und Schmetterlinge beobachten.
»Natürlich nicht, das hier ist doch meine Heimat«, entgegnete sie lachend. »Sie können mir glauben, dass ich mich eher fürchten würde, durch bestimmte Gegenden von London zu reiten. Hier draußen gibt es nichts, was uns gefährlich werden könnte.«
Ein Lächeln huschte über Pauls Gesicht. »So schlimm, wie Sie es machen, ist wohl auch das gute alte London nicht. Aber ich verstehe, was Sie meinen. Das hier ist das Paradies. Je mehr ich von dieser Insel sehe, desto mehr komme ich zu dem Schluss, dass sich der Garten Eden hier befunden haben muss.«
»Wahrscheinlich würden das so einige Reisende von anderen Ländern ebenfalls behaupten. Ich habe jedenfalls schon viele hübsche Orte gesehen.«
»Aber keinen wie Ihre Heimatinsel, nicht wahr?« Paul betrachtete sie prüfend.
Rose sah ein, dass es keinen Zweck hatte zu leugnen.
»Nein, mit Sumatra lässt sich kaum etwas messen.« Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Haben Sie eigentlich vor, öfter hier zu sein?«
»Nach allem, was ich hier gesehen habe, ja. Diese Insel ist wirklich inspirierend, und meiner Gesundheit tut es gut, mal nicht in der feuchten Kälte zu sein. Natürlich muss ich mich auch um meine Geschäfte in England kümmern, doch ich kann mir vorstellen, ein paar Monate im Jahr hier zu verbringen – vielleicht sogar im Winter, wenn es in England am ungemütlichsten ist.«
»Und was sagt Ihre Verlobte dazu?« Fast bereute Rose ein bisschen, diese Frage gestellt zu haben, als sie sah, dass sich Pauls Miene verfinsterte.
»Nun ja, Maggie …« Er stockte und wirkte, als würde er seine Antwort bereits jetzt bereuen. »Sie hält nichts von diesem Land. Eigentlich habe ich das Gefühl, das jedem zu erzählen, mit dem ich zu tun habe, jeden Tag.« Er schüttelte den Kopf. »Ehrlich gesagt, weiß ich mittlerweile nicht mehr, ob Maggie die Frau ist …« Kurz stockte er, und angesichts der Miene, die er zog, musste wohl ein finsterer Gedanke durch seinen Verstand ziehen. »Ich meine, ich weiß nicht, ob ich sie … heiraten will.«
Rose schnappte erschrocken nach Luft. »Sagen Sie doch so was nicht!«
»Doch, ich sage es«, entgegnete er, so heftig, als müsse er sich die Worte selbst einbläuen. »Ich sage es, weil ich genau so fühle! Wenn ich mich mit dem Plantagenbesitzer einigen kann, werde ich hin und wieder Zeit hier verbringen müssen. Viel Zeit, während der ich nicht allein sein will. Ich brauche eine Frau, die gewillt ist, mit mir zu reisen, die bereit ist, auch Unbekanntes zu erforschen. Ich kann keine Frau gebrauchen, die sich vor Affen oder Einheimischen fürchtet, obwohl es da nichts zu fürchten gibt.«
Rose blickte Paul erschüttert an. Solche Offenheit hätte sie nicht von ihm erwartet. Ein Teil von ihr freute sich darüber, doch der größere Teil empfand einfach nur Erschütterung. War ihr geheimer Wunsch so stark gewesen, dass sich alles zu ihren Gunsten entwickeln sollte?
Doch was, wenn er sich zu erfüllen drohte? Wäre sie bereit, Pauls Frau zu werden? Oder zumindest seine Geliebte? Wäre sie bereit, ihre Musik
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