Der Mondscheingarten
Landesinnere zu reisen, um ihre Großmutter zu besuchen. Drei Tage waren ihr gewährt worden, danach musste sie sich auf das nächste Konzert vorbereiten.
Noch immer war sie sich unsicher, was ihre Gefühle für Paul Havenden betraf. Die Antwort, die er ihr geschickt hatte, war mehr gewesen als bloße Zahlen, sie hatte sehr gefühlvoll geklungen.
Obwohl es jetzt beinahe eine Woche her war, hatte sie das Bild von Paul und seiner Verlobten im Gedächtnis. Was, wenn er nur mit ihr spielte? Oder war es die schöne Engländerin, die er betrog? Wie sah es in seinem Herzen wirklich aus?
Auf den Konzerten hatte er sich jedenfalls nicht gezeigt, entweder hatte er geschäftlich zu tun, oder er musste sich um die Engländerin kümmern.
»Miss, verzeihen Sie, aber Sie wollten um sieben Uhr aufbrechen«, riss Mai, die noch etwas verschlafen wirkte, Rose aus ihren Gedanken fort. Erst weit nach Mitternacht war ihre Herrin von ihrem Konzert zurückgekehrt, dem vorletzten der gesamten Reihe. Nur noch eines würde sie geben, einen Tag vor ihrer Abreise nach Indien. Und dann würde Rose auf der Überfahrt versuchen müssen, nicht daran zu denken, dass Paul in der Zeit schon wieder auf dem Weg nach England war und sie ihn vielleicht nie wiedersehen würde.
»Ja, du hast recht, ich sollte los«, sagte Rose, die ihr eleganteres grünes Reisekleid trug, und griff nach ihrer Teppichstofftasche, die mit allem gefüllt war, was sie unterwegs brauchen würde. Als sie das Gewicht des Gepäcks spürte, musste sie lächeln. Als Kind, wenn sie mit ihrer Mutter durch den Dschungel unterwegs gewesen war, hatte sie einen Bruchteil an Dingen für die Reise gebraucht. Und auch jetzt würde sie sich nur mit etwas Proviant in der Wildnis zurechtfinden können. Aber sie hatte Paul dabei, und wahrscheinlich noch einen Führer und andere Begleiter. Da musste sie sich so gesittet wie möglich geben, denn eigentlich war es alles andere als moralisch, dass sie einen Mann ohne Anstandsdame begleitete.
»Pass gut auf meine Sachen auf, und schau dir die Kleider an«, trug sie Mai auf, damit diese nicht die Zeit mit Tagträumereien vergeudete. »Wenn du irgendwelche Flecken oder Schäden findest, sorg dafür, dass alles wieder in Ordnung ist, wenn ich zurückkomme. Ich sehe nach!«
»Ja, Miss, ich werde dafür sorgen, dass alles ordentlich ist.«
Rose nickte. Nach dem Verrat an Carmichael hatte ihre Dienerin ihr keinen Grund mehr zum Unmut gegeben.
»Gut, dann gib auf dich acht, benimm dich anständig und halte Mr Carmichael bei Laune, damit er nicht auf die Idee kommt, mir nachzureisen und mich zurückzuholen, weil ich noch schnell in irgendeiner Pinte spielen soll.«
»Das werde ich, Miss Rose«, entgegnete Mai, jetzt lächelnd, denn sie wusste, dass Letzteres ein Scherz gewesen war. »Geben Sie auch auf sich acht im wilden Dschungel.«
»Der ist weniger wild, als du denkst. Wenn du die Wege nutzt, die meine Leute seit vielen Jahren nehmen, läufst du nicht Gefahr, vom Tiger gefressen zu werden.« Rose wunderte sich über sich selbst. Wann hatte sie die Bewohner von Sumatra zuletzt als »ihre Leute« bezeichnet? »Und die Waldmenschen tun einem nichts.«
»Waldmenschen?« Mais Augen weiteten sich überrascht.
» Orang Hutans , so werden sie bei den Einheimischen genannt. Sehr große Affen, die früher für Menschen gehalten wurden. Ich erzähle dir bei meiner Rückkehr davon.« Damit verabschiedete sich Rose und verließ das Zimmer.
Sie hatte gehofft, dass Carmichael vergessen würde, sie zu verabschieden, doch da kam er ihr auf dem Gang schon entgegen.
»Wünsche dir eine gute Reise.« Das waren die ersten Worte, die sie seit dem Streit wieder miteinander sprachen. Auch die Ankündigung, dass sie verreisen würde, hatte sie ihm schriftlich übermittelt, wenn sie sich begegneten, hatte sie gerade noch so einen Gruß für ihn übrig. »Pass auf dich auf und vor allem auf deine Hände. Ohne sie …«
»… bin ich wertlos, ich weiß«, entgegnete Rose ein wenig ungehalten. »Mach dir nur keine Sorgen, dies hier ist mein Land, hier kenne ich mich aus. In zwei Tagen bin ich wieder zurück.«
Als sie an ihm vorbeiwollte, schoss seine Hand vor und hielt sie fest. Carmichaels Blick bohrte sich in ihre Augen.
»Wie lange willst du denn noch schmollen? Hatte ich nicht recht damit, dass du keine gewöhnliche Frau bist? Du solltest mal hören, wie voll des Lobes die Leute wegen deiner Konzerte sind! Viele vergleichen dich mit einem Engel. Und wenn die
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