Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist
Liste von ihm entgegen. Seine Handschrift war grauenhaft, aber ich arbeitete schon lange genug für ihn, um sie entziffern zu können. Ich sprang die Treppe hoch und begann mit der Detektivarbeit, und um eine Detektivarbeit handelte es sich, denn der Ordnungssinn des Doktors war nurgeringfügig stärker ausgeprägt als sein Talent fürs Kochen. Es dauerte zum Beispiel fast zehn Minuten, seinen Revolver zu finden (er war der erste Gegenstand auf der Liste), der nicht an seinem üblichen Platz in der obersten linken Schublade seines Schreibtischs war, sondern auf dem Bücherschrank dahinter. Ich ließ mich jedoch nicht beirren und arbeitete die Liste methodisch von oben nach unten durch.
Bowiemesser. Fackeln. Probentaschen.
Schießpulver. Streichhölzer. Pflöcke.
Kerosin. Seil. Arzttasche. Schaufel.
So sehr ich mich auch bemühte, den Ratschlag des Doktors zu befolgen – mich einzig und allein auf die vor mir liegende Aufgabe zu konzentrieren –, der Bedeutung dieser Liste, ihrer Tragweite, konnte ich doch unmöglich keine Aufmerksamkeit schenken: Wir bereiteten uns auf eine Expedition vor.
Und die ganze Zeit über, während ich Stufen hinauf- und hinunterhastete, in Zimmer platzte und sie wieder verließ, Schränke und Regale durchwühlte, schwebte die Stimme des Doktors von unten zu mir hoch, schrill und ätherisch: »Will Henry? Will Henry, warum dauert das so lange? Mach fix, Will Henry. Mach fix!«
Als die Uhr Mitternacht schlug, stand ich an der Hintertür und band mit einem Stück Schnur ein Bündel von Holzpflöcken zusammen, unter dem beständigen Wortschwall des Doktors: »Es ist ja nicht so, als würde ich Unzumutbares von dir verlangen, Will Henry. Habe ich jemals Unzumutbares von dir verlangt?« Ein energisches Klopfen an der Tür störte uns bei unseren Aufgaben, meinem Verschnüren, seinem Tadeln. »Doktor!«, rief ich leise in genau dem Moment, als er am oberen Ende der Treppe erschien. »Jemand ist an der Tür!«
»Dann mach auf, Will Henry!«, sagte er ungeduldig. Er streifte sich den blutigen Kittel ab und warf ihn über einen Stuhl.
Erasmus Gray, der alte Grabräuber, der uns in der vergangenen Nacht zu fast derselben Stunde besucht hatte, standkrumm auf der kleinen Veranda vor dem Haus, auf dem Kopf denselben breitkrempigen, ramponierten Hut. Hinter ihm erspähte ich denselben Knochenklepper und dieselbe klapprige Karre, halb verschluckt vom Nebel. Ich hatte das ausgesprochen unangenehme Gefühl eines Träumers, der zum zweiten Mal in denselben Albtraum eintritt, und einen Moment lang war ich mir sicher, absolut sicher, dass auf der alten Karre eine weitere groteske Ladung lag.
Als ich die Tür öffnete, nahm der alte Mann den Hut ab und blinzelte zu meinem nach oben gewandten Gesicht herab, sodass seine Triefaugen hinter ihrem Gehäuse aus schrumpligem Fleisch verschwanden.
»Sag dem Doktor, dass ich hier bin«, sagte er leise.
Eine Ankündigung war nicht nötig. Der Doktor kam von hinten auf mich zu, riss die Tür weit auf und zog Erasmus Gray in die Küche. Und Ziehen war notwendig, denn der Schritt des alten Mannes war widerstrebend; seine Füße schleiften buchstäblich über den Boden. Und wer wollte ihn deswegen verurteilen? Von den dreien, die da in jener Küche standen, sah nur einer den vor ihnen liegenden Stunden freudig entgegen, und das war weder der alte Erasmus Gray noch der junge Assistent des Doktors.
»Belade die Karre, Will Henry«, wies der Doktor mich an, während er, eine Hand fest auf dem Ellbogen des alten Mannes, Erasmus zur Kellertreppe führte – oder zwang.
Die Frühlingsluft war kühl und feucht, der Nebel ein sanfter Kuss auf meinen Wangen. Als ich mich mit der ersten Ladung näherte, senkte das Pferd zum Gruß den Kopf, so wie ein Lasttier seinen Bruder begrüßt. Ich blieb stehen, um ihm den Hals zu tätscheln. Es musterte mich mit seinen großen, seelenvollen Augen, und ich dachte an die Bestie, die im Keller am Haken hing, und ihre Augen, die ausdruckslos und dunkel und von einer Leere erfüllt waren, die so intensiv wie der Raum zwischen den Sternen war. War es nur die Leere des Todes, die so entnervend an jenen Augen war – oder etwas Tiefgründigeres? Ich hatte mein Spiegelbild in den toten, seelenlosen Augen des Anthropophagen gesehen – wie anders schien es in den Augen dieses freundlichen und sanftmütigen Tiers vor mir! War es nur der Unterschied zwischen dem warmen Blick des Lebens und dem kalten Starren des Todes? Oder wurde mein
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