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Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Titel: Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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Gebrechlichen Trost spenden, aber Erinnerungen können auch unerbittliche Feinde sein, eine heimtückische Armee von Geistern der Zeit, die auf ewig den lange gesuchten Frieden unseres Lebensabends bedrohen. Er hatte Warthrop gebeten, die Erinnerungen an jene Ereignisse, die er nicht vergessen konnte, nicht heraufzubeschwören, denn manche Erinnerungen, wie ich selbst nur allzu gut weiß, bleiben noch Jahrzehnte, nachdem sie geboren wurden, im Gedächtnis frisch.
    Doch als er verstummte, drängte Warthrop ihn nicht zum Weiterreden. Vielleicht begriff er – wie auch ich im Lauf der Zeit, sehr zu meinem Bedauern, begriffen habe –, dass es von gewissen Wegen unserer Erinnerung, haben wir sie erst einmal betreten, kein Abbiegen oder Kehrtmachen gibt. Sie müssen bis zu ihren bitteren Endpunkten beschritten werden. Es ist derselbe unwiderstehliche Drang, der uns zwingt, auf den schrecklichen Unfall zu schauen oder mit schändlicher Neugier auf das bedauerliche Exponat eines Gruselkabinetts im Zirkus zu starren. Die Erinnerungen an jene letzten fürchterlichen Tage an Bord der dem Untergang geweihten Feronia hatten Gewalt über ihren Captain; er hatte keine Gewalt über sie.
    »Wir schlichen uns unter Deck, brachten alles an Essen und Wasser nach oben, das wir auftreiben konnten, und schotteten die unteren Decks ab«, stieß der alte Mann schließlich keuchend hervor. »Postierten bewaffnete Wachen rund um die Uhr. Das Wetter war uns gewogen; bei leewärtigem Wind und heiterem Himmel machten wir gute Fahrt. Die Tage waren still, aber es war eine unheimliche Ruhe, ein trügerischer Frieden, denn sobald die Sonne unters Vorderdeck sank, begannendas Pochen und dieses infernalische, unaufhörliche Kreischen. Wir konnten sie hören, verstehen Sie, wie sie die Planken direkt unter unseren Füßen testeten, klopften und kratzten und sondierten auf der Suche nach Schwachstellen im Holz. Die Männer zogen Lose für die Nachtwache, aber die Gewinner konnten nicht mehr als ein oder zwei Stunden schlafen, und jede dieser Stunden schien länger als ein Tag zu sein und die Nächte länger als ein Jahr. Die Mannschaft war uneins und stritt erbittert untereinander. Einige fanden, wir sollten das Schiff aufgeben, in die Boote gehen und um Rettung beten. »Wir stecken die Feronia in Brand«, sagten sie. »Fackeln sie bis zur Wasserlinie ab!« Andere erklärten mit Nachdruck, unsere einzige Hoffnung läge in einem Überraschungsangriff, einem Überfall, während sie schliefen. »’s ist nur eine Frage der Zeit, bis sie durchbrechen«, sagten sie. »Besser, wir treten ihnen zu einem Zeitpunkt und an einem Ort entgegen, die wir bestimmen.« Ich legte mein Veto gegen diese beiden Vorschläge ein. Wir machten ausgezeichnete Fahrt; das Schiff schien ihren Anstrengungen standzuhalten; und wenn wir es verließen, würden wir nur das Risiko, Wilsons Schicksal zu teilen, gegen das Risiko von Sonnenstichen und Hungertod eintauschen. Wir segelten weiter.«
    Anfangs schien die Entscheidung des Captains weise zu sein, denn die erzwungene Waffenruhe hielt, ebenso wie das günstige Wetter. Eine Woche lang, dann zwei, bis am Morgen des einundvierzigsten Tags auf See nördlich der Feronia das Bermudaarchipel gesichtet wurde. Die Winde, die tagelang stetig aus östlicher Richtung geweht hatten, drehten jäh. Der Himmel im Süden wurde schwarz wie Kohle, und die Wellen stiegen um einen Fuß in der nächsten Stunde, dann um zwei Fuß, dann um vier, während die Sonne hinter einem Schleier schnell dahinziehender Wolken verschwand; die Feronia stampfte in der Gewalt der aufgewühlten See, während zwanzig Fuß hohe Wellen über die Reling krachten. Der Wind fing mit Böen von fünfzig Knoten an zu blasen und zwang dieMannschaft, die Segel zu streichen, damit sie nicht von den Masten gerissen wurden. Das Wasser stürzte vom Himmel, ein erbarmungsloser Regen, gehetzt vom unbarmherzigen Sturmwind. Stundenlang drängte sich die Mannschaft auf Deck zusammen, den Elementen ausgesetzt, während die menschenfressenden Bestien unten es warm und trocken hatten, eine Ironie, die den Männern nicht entging und erneut die Debatte entfachte. Ein Matrose war von einem Brecher schon fast über Bord gespült worden. Mit jeder weiteren Stunde nahm der Sturm an Heftigkeit zu; Blitze krachten und sprühten um den Großmast herum; der Wind trieb die Regenwände seitwärts vor sich her, dass man die Hand kaum noch vor Augen sah und selbst der kleinste Schritt zu einer

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