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Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Titel: Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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schlachten und den Anthropophagen ein blutiges Stück davon anzubieten. Wilsons betrunkene Argumentation war folgende: Die Biester wollen nicht fressen, was wir ihnen anbieten, weil sie wissen, was es ist! Kein Menschenfresser mit Selbstachtung wird sich dazu herablassen, eine verdammte Ziege zu verspeisen! Aber wenn er nicht weiß, wo das Fleisch herkommt, hält eres vielleicht irrtümlich für Menschenfleisch und frisst es! Der Plan war nicht vom Captain gebilligt; er hatte sich mit Verdacht auf Malaria in sein Quartier zurückgezogen. Seine Mannschaft schlachtete das kreischende Opfertier auf Deck und schleuderte seine Eingeweide über Bord, den wartenden Haien zu, ohne in ihrem berauschten Zustand zu ahnen, dass die Raserei der gefütterten Fische bloß ein Vorspiel war, eine schreckliche Andeutung kommender Ereignisse.
    Wilson und ein Schauermann namens Smith schnitten ein dickes Stück aus der Weiche des Kalbs und befestigten es an einem Enterhaken. Den Haken banden sie ans Ende einer dreißig Fuß langen Tauwerksrolle, und Wilson ließ den Köder durch die Stäbe herunter, wobei er sich auf den Bauch legte, um die Ergebnisse seines Experiments mitzuerleben.
    Es war Abenddämmerung, eine schläfrige Stunde für die Anthropophagen, in der sie sich in ihre schattigen Plätze verkrochen, nestartige Lagerstätten, teilte uns der Captain mit, für deren sorgfältige Konstruktion die Kreaturen Stunden aufgewendet hatten und weitere Stunden für ihre Instandhaltung. Anthropophagen sind nachtaktive Jäger und verbringen den größten Teil des Tages mit Schlafen, der Aufzucht ihrer Jungen oder der Durchführung von Bindungsritualen mit anderen Mitgliedern des Rudels, deren wichtigstes – und bizarrstes – die Gewohnheit darstellt, Stückchen von Menschenfleisch, die sich zwischen den Zähnen des anderen festgesetzt haben, mit der Spitze ihres längsten Nagels, dem des Mittelfingers, herauszustochern. Diese Operation ist eine feinfühlige Übung in Vertrauen und Selbstbeherrschung, denn der Empfänger muss vollkommen regungslos verharren, während sein Kamerad tief ins Innere seines zahnüberkrusteten Rachens greift, um die hinteren Zähne zu säubern. Bewegt er sich, könnte die rasiermesserscharfe Kralle ihm das Zahnfleisch aufschlitzen, damit ein reflexhaftes Zuklappen der Kiefer bewirken und so die Hand dessen abtrennen, der diesen unschätzbaren Dienst verrichtet.
    Wilson konnte sie kaum sehen, wie sie sich im hintersten Winkel des Laderaums im Stroh aneinanderschmiegten. Die Eisenstäbe, die über die Bullaugen geschweißt worden waren, beschränkten die Helligkeit darin selbst am strahlendsten Tag, und im Augenblick war die Sonne im Untergang begriffen; die Monster waren bloß dunklere Schatten unter helleren Schatten, kaum unterscheidbar von den Strohwällen, die sie umgaben; genau genommen konnte niemand sicher sein, ob diese buckligen Schatten ihren Fang darstellten oder bloß Strohklumpen waren. Wilson schwang das Tau hin und her und rief dabei leise, um sie aufzuwecken, dass das Abendessen angerichtet war. Es war mehr als drei Wochen her, seit sie zum letzten Mal gefressen hatten, und sie mussten völlig ausgehungert sein. Seine Kameraden, Smith und der Steuermann, Burns, standen links und rechts von ihm, beugten sich tief herab und spähten in die Düsternis und konnten ihr ausgelassenes Kichern nicht unterdrücken. Sie spornten Wilson an. »Tiefer!«, forderten sie ihn auf. »Schwenk es näher ran, damit sie’s riechen können!« In das dunkle und stinkende Loch riefen sie hinein, jenes Gefängnis, das einst tausend Pfund menschlicher Fracht aufgenommen hatte, Viehzeug für die Baumwollfelder Georgias und die Indigoplantagen Louisianas – denn die Feronia war ein Sklavenschiff gewesen, das in den Jahren vor dem Krieg den illegalen Handel ausgeübt hatte. Und jetzt lagen überall die verwesenden Kadaver von Ziegen herum, die nicht wiederzuerkennenden Überreste der armen kleinen Schimpansen, die ihnen in ihr unvorstellbares Ende gefolgt waren, und die stinkenden Exkremente der Bestien, die die Körper der Tiere mit der Mühelosigkeit von Kindern, die Fliegen die Flügel ausreißen, zerfetzt hatten. »Kommt schon, ihr Biester! Aufgewacht und Abendessen fassen!« Ihre Rufe blieben unbeachtet. Da er den Köder nicht so nah an die schlafenden Fleischfresser heranbringen konnte, dass sie ihn wittern konnten, schob Wilson den rechten Arm durch die Stäbe und ließ das Tau noch zwei Fuß weiter in den

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