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Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Titel: Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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lautete der, Will Henry? Erinnerst du dich daran, oder warst du so abgelenkt von deiner Gier nach Süßem, dass du ihn vergessen hast? Was habe ich zu dir gesagt, bevor du gegangen bist?«

    Ich stotterte und stammelte, übermannt von der Heftigkeit seines gehässigen Angriffs. Er ragte über meiner furchtsam geduckten Gestalt auf und brüllte: »Was habe ich gesagt?«
    »Sp-sp-sprich mit niemandem«, wimmerte ich.
    »Was noch?«
    »Und sollte mich jemand ansprechen, so ist alles in Ordnung.«
    »Und welchen Eindruck, denkst du, hast du bei ihnen hinterlassen, Will Henry, mit diesen Fragen nach Konföderiertenspionen und Regierungsermittlern und dem Hause Warthrop? Erkläre es mir.«
    »Ich habe nur versucht … ich wollte doch nur … ich habe es nicht zur Sprache gebracht, Sir, ich schwöre, dass ich es nicht war! Die Flanagans fingen damit an!«
    Er zischte durch die Zähne: »Du hast mich enttäuscht, Will Henry.« Er wandte mir den Rücken zu und durchquerte das Zimmer und trat beim Gehen die Schutthaufen zur Seite. »Und schlimmer noch. Du hast mich verraten.« Er drehte sich wieder um, um mich anzusehen, und schrie in die Düsternis: »Und wofür? Um den Amateurdetektiv zu spielen, um deine eigene unersättliche Neugier zu befriedigen, um mich zu demütigen, indem du dich an dem gleichen Klatsch und Rufmord beteiligst, die meinen Vater als gebrochenen und verbitterten Mann in die Zurückgezogenheit und letztendlich ins Grab getrieben haben! Du hast mich in eine unhaltbare Lage gebracht, Master Henry, denn nun weiß ich, dass deine Loyalität nicht weiter reicht als bis zu den Schranken deiner Selbstsucht, und blinde, totale, bedingungslose Loyalität ist die eine unerlässliche Eigenschaft, die ich von dir fordere. Niemand hat mich darum gebeten, dich in mein Heim aufzunehmen oder dich an meiner Arbeit teilhaben zu lassen. Nicht einmal die Treue deinem Vater gegenüber verlangte das. Aber ich tat es, und das istjetzt mein Lohn! … Was? Hat dich das verärgert? Habe ich dich beleidigt? Sprich!«
    »Ich habe nicht darum gebeten hierherzukommen!«
    »Und ich habe nicht um die Gelegenheit gebeten, dich aufzunehmen!«
    »Es hätte gar keine gegeben, wenn Sie nicht gewesen wären!«
    Er trat auf mich zu. In der Dämmerung konnte ich sein Gesicht nicht erkennen. Ein Schatten lag zwischen uns.
    »Dein Vater wusste um das Risiko«, sagte er leise.
    »Meine Mutter nicht! Ich nicht!«
    »Was soll ich deiner Meinung nach tun, Will Henry? Sie persönlich von den Toten auferwecken?«
    »Ich hasse es hier!«, schrie ich den Schatten des Monstrumologen an, meines Mentors – und meines Peinigers. »Ich hasse es hier und ich hasse Sie, weil Sie mich hierhergebracht haben, und ich hasse Sie !«
    Ich floh die Diele hinunter, stürmte die Treppe hoch, raste die Leiter zu meiner kleinen Dachkammer hoch und knallte die Klapptür hinter mir zu. Ich warf mich aufs Bett, vergrub das Gesicht im Kissen und schrie aus vollem Halse, denn mein Wesen floss vor Wut und Kummer und Scham über. Ja, Scham, denn er war alles, was ich hatte, und ich hatte ihn enttäuscht. Der Doktor hatte seine Arbeit; ich hatte ihn; und für jeden war das, was wir hatten, alles.
    Über mir trieben Wolken über den kupfervitriolfarbenen Aprilhimmel, die Sonne sank auf den Horizont zu und pinselte die weichen Wolkenbäuche golden an. Als meine Tränen verbraucht waren, wälzte ich mich auf den Rücken und sah zu, wie das Licht aus der Welt sickerte. Mein Körper sehnte sich nach Nahrung und Erholung, meine Seele nach einer dauerhafteren Ruhepause. Ich konnte essen und ich konnte schlafen, aber was konnte ich tun, um diese erdrückende Einsamkeit, diesen unermesslichen Kummer, diese unheilbare Angst zu lindern? Hatte ich, wie der bis zur Hüfte im Grab stehende Erasmus Gray, derin dem unentrinnbaren Griff des Monsters gefangen war, oder Hezekiah Varner, der im gärenden Schmorgericht seines eigenen Fleischs im Sterben lag, den Punkt, wo Rettung noch möglich gewesen wäre, hinter mir gelassen, war alle Hoffnung schon gestorben in dem Feuer, das meine Eltern verschlungen hatte wie die Anthropophagen Erasmus und die Maden Hezekiah? Der Tod hatte ihrem Elend ein Ende gesetzt. Würde nichts als ein Besuch desselben dunklen Engels dem meinem ein Ende setzen?
    Ich wartete darauf, dass der Schlaf, diese liebenswürdige Nachäffung des Todes, mich holte. Ich sehnte mich nach seiner auslöschenden Gunst. Aber sein Friede entzog sich mir, und ich stieg aus dem Bett,

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