Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

mir das Herz bricht wegen denen, die heute Nacht mit Sicherheit umkommen werden, wäre es tollkühn, es jetzt zu jagen. Wir müssen bei Tageslicht angreifen, denn die Nacht gehört der Bestie.«
    Nachdem die Jagdgesellschaft – oder die Verschwörergruppe, je nachdem, aus wessen Blickwinkel man es betrachtete – von Helrungs Haus verlassen hatte, kehrte ich nach oben zurück. Ich schlich mich am Zimmer des Doktors vorbei, um ihn nicht aufzuwecken und gezwungen zu werden, Fragen zu beantworten, die ich lieber nicht beantworten wollte, solange es nicht unumgänglich war. Es war spät und ich müder, als ich je gewesen zu sein mich erinnern konnte, nicht einmal während jenes endlosen Marschs durch die Wildnis. Mein Gebet um eine friedliche Nacht mit nichts als einem Daunenkissen und einer Federmatratze als Gesellschaft sollte jedoch nicht erhört werden. In dem Moment, da ich an seiner Tür vorbeikam, rief er nach mir.
    »Haben Sie gerufen, Sir?«, fragte ich, wobei ich ganz absichtlich mit einem Fuß im Flur stehen blieb.
    »Ich dachte, ich hätte unten Stimmen gehört.«
    Ich legte den Kopf schräg und tat so, als horchte ich. »Ich höre nichts, Sir.«
    »Nicht jetzt , Will Henry. Vorhin . Wieso beharrst du darauf, mich so zu behandeln? Ich bin doch nicht völlig vertrottelt.«
    »Nein, Sir. Ich war durcheinander, Sir. Es tut mir leid.«
    »Ach, hör auf! Komm herein und mach diese Tür zu! … Und jetzt sag mir, was von Helrung getrieben hat, während ich in diesem Zimmer gefangen war – dessen Wände übrigens von Minute zu Minute näher heranrücken.«
    Ich erzählte ihm alles. Er hörte ohne Kommentar oder Frage zu, bis ich mit von Helrungs abschließenden Bemerkungen schloss: Wir beten für die Toten, aber unsere Pflicht gilt denLebenden. Wir sind keine Gegner für es – kein Sterblicher ist das –, doch mit Mut und Seelenstärke kann vielleicht das Leben den Tod bezwingen, und all dieser Verlust, dieses unerträgliche Leid, wird nicht umsonst gewesen sein. Wir können John keinen Frieden bringen. Er ist jenseits allen Friedens; er ist jenseits aller Erlösung. Denken Sie daran, wenn die Prüfung kommt! Es kennt nichts als den Hunger. Aber wir kennen mehr. Nichts als der Hunger treibt es an. Aber mehr als das treibt uns an. Wir sind mehr, als sich im Gelben Auge widerspiegelt. Vergessen Sie das nie! In den kommenden Stunden werden wir vielleicht in Versuchung kommen. Es wird vielleicht so weit kommen, dass wir die Toten beneiden, denn sie sind über alles Leiden hinaus, während unser Leiden, wie das Judas’ in der Hölle, immer weitergeht. Und sollte es Sie ergreifen, sollte es Ihren Namen auf dem hohen Wind rufen, so verzweifeln Sie nicht! Geben Sie nicht der Furcht nach, so wie John es getan hat! Sein Schicksal spiegelt den Lohn der Furcht wider! Haben Sie Mitleid mit ihm, wenn Sie ihm das Herz herausreißen! Es ist nichts weniger als die Ruine von Gottes Tempel, einsam und verlassen, der letzte, flüchtige Nachhall von Adams Sünde.
    Müde sagte der Monstrumologe: »Nun, da hast du es. Er ist immerhin erstaunlich konsistent in seinem Wahn. ›Die Ruine von Gottes Tempel‹! Bei Gravois wundert es mich nicht – er war schon immer ein kleiner Stiefellecker. Von Helrung könnte ihm erzählen, dass die Sonne im Westen aufgeht und in seinen Nasenhaaren kleine Menschen wie Affen hausen, und Gravois würde ihm glauben oder sagen, dass er ihm glaubt. Auch Dobrogeanu ist keine Überraschung. Er und von Helrung haben gemeinsam ihre monstrumologischen Zähne bekommen; sie stehen sich ziemlich nahe. Torrance ist eine ziemliche Überraschung. Er hat immer einen vernünftigen Eindruck auf mich gemacht, ein feiner Wissenschaftler, wenn er nicht den Weibern hinterherstieg, aber er hat eine Zeit lang unter von Helrung studiert. Es könnte sein, dass er im Zweifelsfall zugunsten seines alten Lehrmeisters entscheidet. Aber die Anwesenheit von Peltist ein kleiner Schock. Schließlich war Pelt es, der mir von Helrungs lächerlichen Antrag überhaupt erst zu Bewusstsein gebracht hat.«
    Er seufzte. »Wir werden sehen, nicht wahr, Will Henry? Gott segne jedenfalls Henry Blackwood! Du musst mich daran erinnern, ihm zu danken, wenn das alles hier vorüber ist. Ich schulde ihm noch die Geschichte unserer Reise durch die Wildnis.«
    »Werden Sie sich ihnen auf die Jagd anschließen?«, fragte ich.
    »Was habe ich für eine Wahl? Ich bin jetzt seine einzige Hoffnung. Falls die Polizei ihn findet, bin ich nicht sicher, ob sie