Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
Vom Netzwerk:
einen Unfall. Ich fiel von einer Brücke.«
    »Sie fielen von einer Brücke?«
    »Ja, ich fiel von einer Brücke!«, sagte er unwirsch. »Was ist daran so überraschend?«
    »Wieso fielen Sie von einer Brücke?«
    »Aus demselben Grund wie Newtons Apfel. Wie dem auch sei, ich verletzte mich nicht, aber es war Februar und der Fluss kalt. Ich bekam Fieber und wurde ziemlich krank und musste einige Tage im Krankenhaus das Bett hüten, und so lernten sie sich kennen, mehr über mir als über mich, könnte man wohl sagen.«
    »Über Ihnen?«
    »Über meinem Bett.«
    »War sie Ihre Krankenschwester?«
    »Nein, sie war nicht meine Krankenschwester. Gütiger Gott! Sie war – wir waren verlobt, wenn du es unbedingt wissen musst.«
    Ich war wie betäubt. Die Vorstellung, dass der Monstrumologe mit jemandem verlobt gewesen war, ging über mein kärgliches Begriffsvermögen hinaus.
    »Warum siehst du mich so an?«, wollte er wissen. »Es war ein zufälliger Sturz in jenen Fluss. Ohne ihn hätte ich sie aller Wahrscheinlichkeit nach geheiratet und viel mehr erlitten als die Unbequemlichkeit eines Fiebers. Ich bin anlagebedingt nicht dafür geeignet, Will Henry. Stell dir vor – ein Mann wie ich, verheiratet! Stell dir die arme Frau dabei vor! Ich stehe der Ehe nicht prinzipiell ablehnend gegenüber – sie ist, wenigstens in unserer Kultur, notwendig für das Überleben der Spezies –, sondern nur insofern, wie sich die Institution gegenüber der Monstrumologie verhält. Aus welchem Grunde ich den beiden auch nahelegte, es nicht zu tun.«
    »Was nicht zu tun?«
    »Zu heiraten! ›Das wirst du noch bereuen‹, sagte ich zu ihr. ›Er wird nie zu Hause sein. Er wird vielleicht sogar nie nach Hause kommen .‹ Offensichtlich hörten sie beide nicht auf mich. Liebe hat die Angewohnheit, uns dumm zu machen, Will Henry. Sie verschließt uns die Augen vor gewissen eklatanten Gegebenheiten, in unserem Fall vor der spektakulär hohen Sterblichkeitsrate unter Monstrumologen. Selten erleben wir die vierzig – mein Vater und von Helrung bilden die Ausnahmen. Und nun hat die Zeit mir recht gegeben.«
    Er beugte sich vor, bis die volle Wucht seiner eindrucksvollen Persönlichkeit auf mir lastete. Unwillkürlich schrak ich zurück und rutschte in meinem Sessel nach unten, um mich zum kleinstmöglichen Ziel zu machen.
    »Verliebe dich niemals, Will Henry! Niemals ! Ungeachtet dessen, ob du in meine Fußstapfen trittst oder nicht: Verlieben, Ehe, Familie, es wäre desaströs. Der Organismus, der dich infiziert hat – sofern die Population stabil bleibt und du nicht das Schicksal deines Vaters erleidest –, wird dir ein unnatürlich langes Leben gewähren, lange genug, um die Kinder deiner Kinder in Vergessenheit geraten zu sehen. Du bist dazu verdammt, jeden, den du liebst, vor dir sterben zu sehen. Sie werden von dir gehen, und dein Leben wird weitergehen. Wie das der verfluchten Sibylle wird dein Leben weitergehen.«
    Am nächsten Morgen wartete Sergeant Hawk in der Eingangshalle auf uns. Wir nahmen gemeinsam ein herzhaftes Frühstück ein – unsere letzte ordentliche Mahlzeit für viele noch kommende Tage – und traten dann ins Freie unter einen verhangenen Himmel und in einen kräftigen arktischen Wind, Erinnerungen daran, dass der brutale kanadische Winter schnell nahte. Unsere Ausrüstung lag auf einem Haufen neben einem Anpflockpfosten: Zwei prall gefüllte Rucksäcke, jeder behängt mit Werkzeugen und Utensilien – Schaufeln, Beile, Töpfe und Pfannen und dergleichen; ein kleiner Sack, der unseren Proviant enthielt; und zwei Winchester-Gewehre.
    »Wir reisen mit leichtem Gepäck, Doktor«, meinte unser Führer aufgeräumt. »Auf die Art schaffen wir es am schnellsten.«
    Die Gewehre erinnerten Warthrop daran, dass er seinen Revolver in unserem Zimmer gelassen hatte, und er befahl mir, ihn für ihn zu holen.
    Er steckte ihn in die Tasche seines Mantels und sagte: »Sollen wir dann fix machen, Hawk? Ich nehme einen Rucksack und ein Gewehr; Will Henry kann die Verpflegung tragen.«
    Überrascht sagte Jonathan Hawk zu ihm: »Ihr Junge kommt mit?«
    »Er ist nicht mein ›Junge‹, und, ja, er kommt mit.«
    Der junge Polizist runzelte die Stirn. »Es geht mich natürlich nichts an –«
    »Natürlich nicht.«
    »Er könnte hier auf uns warten.«
    »Will Henry ist mein Assistent, Sergeant Hawk; seine Dienste sind mir unentbehrlich.«
    »Welche Dienste sollen das denn sein?«
    Es bereitete ihm offenbar gewisse Schwierigkeiten, sich das

Weitere Kostenlose Bücher