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Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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stürzte ein paar Schlucke hinunter und schüttelte sich heftig. »Ich erkenne die roten Haare wieder.«
    »Hm. Sie sind tatsächlich ziemlich rot, nicht wahr? Eigenartig, dass das Gesicht nicht angetastet worden ist, bis auf die Augen.«
    »Wieso haben sie ihm die Augen herausgeschnitten?«
    »Ich bin mir nicht sicher, dass das jemand getan hat.« Der Doktor ging mit dem Gesicht nahe heran. »Ich würde auf Aasfresser tippen, aber bei diesem Licht kann ich keine Spuren erkennen. Wir werden bis morgen früh warten müssen.«
    »Na schön, aber was ist mit der Haut? Kein Tier zieht die Haut ab und lässt den Rest übrig – und wo zum Teufel sind seine Kleider?«
    »Nein, was ihn auch gehäutet hat, ein Tier war es nicht«, sagte der Doktor. »Zumindest keins der vierbeinigen Art. Die Haut wurde heruntergeschnitten, mit etwas außerordentlich Scharfem, einem Jagdmesser oder …« Er unterbrach sich; er verweilte gerade über einem großen Loch, das in der Mitte der Brust des Mannes gähnte, der einzigen offensichtlichen Wunde außer der Stelle weiter unten, wo er aufgespießt und dann von der Hemlocktanne losgehackt worden war. Der Monstrumologe lachte leise und schüttelte wehmütig den Kopf. »Ah, ein Königreich für etwas richtiges Licht! Wir könnten warten, aber … Will Henry, bring mir meinen Besteckkasten!«
    Ich flitzte um unseren konsternierten Führer herum und holte die weiche Segeltuchfeldtasche des Doktors. Er zerrte die Lederbänder auf, öffnete die Tasche mit einem Ruck und zog das gewünschte Instrument heraus, welches er hochhielt, sodass Hawk es sehen konnte.
    »Oder ein Skalpell, Sergeant. Will Henry, ich brauche mehr Licht hier – nein, stell dich auf die andere Seite und halte die Lampe tiefer. So ist’s gut.«
    »Was wollen Sie machen?«, verlangte Hawk zu wissen. Er ging näher heran, denn die Neugierde gewann die Oberhand über seine Abscheu.
    »Da ist etwas ausgesprochen Sonderbares …« Die Hände des Monstrumologen verschwanden in dem Loch. Indem er sich auf seinen Tastsinn und seine Anatomiekenntnisse verließ, vollführte er mehrere schnelle Schnitte mit dem Skalpell und reichte mir das Instrument anschließend.
    »Was ist?«, fragte Hawk. »Was ist sonderbar?«
    »Ach je!«, ächzte der Doktor. »Ich kann nicht beides machen … Will Henry, stell die Lampe einen Moment ab und zieh das hier auseinander. Nein, tiefer; du musst die Rippen zu greifen bekommen! Zieh fest , Will Henry. Fester!«
    Ich spürte jemandes Atem auf meiner Wange – Hawks. Er starrte mich an.
    »Unentbehrlich«, flüsterte er. » Jetzt verstehe ich!«
    Des Doktors Hände verschwanden zwischen meinen. Dann, mit einer dramatischen Gebärde, beförderte der Monstrumologe das abgetrennte Herz ans Licht, wiegte es in Händen und hielt es hoch wie eine blutige Opfergabe. Ich plumpste auf den Hintern, und die Muskeln in meinen Unterarmen sangen vor Schmerzen. Warthrop drehte sich zum Feuer hin und ließ das Licht über dem Organ spielen. Als er auf das Pericardium drückte, tröpfelten dicke Gerinnsel arteriellen Blutes über den abgetrennten Rand der Pulmonalarterie und fielen ins Feuer, wo sie knallten und Blasen bildeten und in der intensiven Hitze dampften.
    »Äußerst merkwürdig … Anscheinend denteliertes Trauma am rechten Ventrikel.«
    »Was?«, schrie Hawk geradezu. »Was am was?«
    »Zahnabdrücke, Sergeant. Etwas hat ein Loch durch seine Brust gebohrt und in sein Herz gebissen.«
    In dieser Nacht gab es keinen Schlaf für den Monstrumologen. Gegen drei am Morgen scheuchte er mich ins Bett – »Du wirst mir andernfalls morgen früh nicht von Nutzen sein, Will Henry« – und nötigte Hawk, sich auch etwas auszuruhen. Er würde beide Wachen übernehmen. Unser seelisch angeschlagener Führer nahm das Angebot nicht freundlich auf.
    »Was ist, wenn Sie einschlafen?«, fragte er. »Wenn dieses Feuer ausgeht … der Geruch nach … Er wird alle möglichen Wesen anziehen …« Er umklammerte seine Büchse wie ein Kind seine Lieblingsdecke. »Ganz zu schweigen davon, dass, wer auch immer das getan hat, noch da draußen ist. In diesem Moment beobachten sie uns vielleicht und warten nur darauf, dass wir einschlafen!«
    »Ich versichere Ihnen, Sergeant, ich werde nicht einnicken, und ich werde mein Gewehr stets griffbereit haben. Es gibt nichts zu fürchten.«
    Hawk wollte nichts davon wissen. Er kannte den Doktor nicht so gut wie ich. Wenn die Jagd im Gange war, konnte er tagelang wach bleiben. Warthrops Augen

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