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Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Titel: Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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er nicht, aber er wird jemanden kennen, der eins hat … Was ist das, worauf du Jagd machst, dass es den Zaren von Russland interessiert und dich davon abhält, deinem alten Freund Fadil zu vertrauen? Was für eine Sorte Monster ist es diesmal?«
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte der Doktor aufrichtig. »Aber ich beabsichtige, es herauszufinden oder bei dem Versuch zu sterben.«
    * * *
    Fadil ließ es sich nicht nehmen, uns am Hafen zu verabschieden, und es schien, als würde ihn jeder in den überfüllten Straßen kennen. »Fadil! Fadil!«-Rufe folgten uns vom Eingang des Cafés bis zum Landungssteg. Bei jedem »Fadil« zuckte der Doktor zusammen – er hatte gewollt, dass seine Anwesenheit in Port Said unbemerkt bliebe.
    »Wenn deine schrecklichen Angelegenheiten erledigt sind an diesem Ort, den du nicht sagen darfst, nachdem deine Jagd auf das, was du nicht kennst, vollendet ist, dann kommst du zurück und erzählst mir, was der Zar wissen darf, aber Fadil nicht! Dann werden wir uns an fasieekh und kofta laben, und ich werde William meine Töchter vorstellen – oder sollte ich Ophois sagen? Ha, ha!«
    Er schlug mir fest auf den Rücken, blickte sich verstohlen um und nahm dann einen kleinen Gegenstand aus der Hosentasche. Es war ein aus Alabaster geschnitzter Skarabäus, der zu einer Halskette gestaltet war. Er drückte mir das Amulett in die Hände und sagte: »Ein kheper , mein neuer junger Freund, aus der zehnten Dynastie. Auf Altägyptisch bedeutet sein Name ›zur Existenz gelangen‹. Er wird dir Glück bringen.«
    »Und mehrere Jahre im Gefängnis, falls die Behörden dich damit erwischen sollten«, ergänzte der Doktor trocken.
    »Er ist auf ehrlichem Wege zu mir gekommen, in einer Partie Hunde und Schakale mit einem sehr betrunkenen Ungarn, der ihn einem Gassenjungen in Alexandria abgekauft hatte. Jetzt beleidige mich nicht, indem du mein Geschenk ablehnst!«
    Er umarmte Warthrop, krönte die ungestüme Liebkosung mit einem Kuss – ein Zeichen der Freundschaft in Ägypten – und entließ auch mich mit einem, mitten auf die Lippen. Er fand meine erschrockene Reaktion ausgesprochen lustig; sein kräftiges Lachen folgte uns den ganzen Weg den Landungssteg hinauf bis aufs Schiff.
    »Du hättest ihn nicht annehmen dürfen«, sagte Warthrop zu mir, womit er sich auf den Skarabäus bezog. »Jetzt hast du sein Glück mitgenommen.«
    Er lächelte matt. Ich glaube, die Bemerkung war nur zum Teil scherzhaft gemeint.
    * * *
    Es dauerte zehn Jahre, bis die Franzosen den Suezkanal gebaut hatten, und genauso lang schien es zu dauern, seine hundert Meilen zu durchschiffen. Wir tuckerten in einer Geschwindigkeit dahin, über die eine Schnecke sich lustig gemacht hätte, und die Landschaft, wenn man es so nennen konnte, bot keine angenehme Abwechslung: Wüste zur Linken, Wüste zur Rechten, ein Himmel, der in Flammen stand, und die Sonne praktisch ohne Abstand über uns. Das einzige Lebenszeichen außerhalbdes Schiffs waren die Fliegen, deren schmerzhafte Stiche uns jedes Mal, wenn wir an Deck gingen, peinigten. Der Doktor hörte, wie ich sie verfluchte, und sagte: »Für die alten Ägypter verkörperten diese Fliegen Zähigkeit und Bösartigkeit in der Schlacht. Man pflegte sie siegreichen Kriegern als Symbol der Tapferkeit zu überreichen.« Es war eine historische Fußnote, die wahrscheinlich in unserem Wohnzimmer in der Harrington Lane interessanter gewesen wäre. Im Moment schienen die Fliegen eher Symbole des Wahnsinns als der Tapferkeit zu sein.
    Wir fütterten die Fliegen bis Sonnenuntergang, als der Himmel von blau über gelb nach orange zu einem samtenen Indigoblau wechselte und die ersten Sterne zögernd durchs Firmament stießen. Dann ein schneller Abstecher nach unten, um uns selbst zu füttern – schnell, weil die Hitze oben nichts war im Vergleich zu den ofenartigen Temperaturen, die das Innere eines Kohlendampfers in der Wüste erreicht –, dann wieder zurück auf Deck, um in der kühlen Nachtluft zu schwelgen. Entlang des Kanals gab es keine Siedlungen, keine Lichter, die am Ufer blinkten, kein Geräusch oder Zeichen von Zivilisation. Es gab die Sterne und das Wasser und das entseelte Land, das wir nicht sehen konnten, und den Schiffsbug, der durchs unbewegte Wasser schnitt, so lautlos wie Charons Fähre in der stygischen Finsternis. Ein Gefühl von Grauen überkam mich, das schwindelerregende Empfinden, mir jedes Atemzugs intensiv bewusst und dennoch losgelöst von meinem eigenen Körper zu

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